Atelierdecke Schloss Seehof bei Lunz am See

Kassettendecke 2.0

Unweit des Dorfes Lunz am See in den Ybbstaler-Alpen in Niederösterreich liegt das Schloss Seehof, seit Generationen Stammsitz der Familie Kupelwieser. Dort hat Hans Kupelwieser, Künstler und emeritierter Professor der TU Graz, nun einen Anbau verwirklichen lassen, den er als Atelier nutzen will.

Die ungewöhnliche Decke des Ateliers (auf den Abbildungen noch in der Bauphase, vor dem Verguss) wurde vom Institut für Tragwerksentwurf (ITE) der TU Graz nach der Idee des Bauherrn geplant und umgesetzt.
Das Tragwerk des Dachs wurde in Beton als Kassettendecke ausgeführt – mit einer außergewöhnlichen Erscheinung: Die Rippen verlaufen nicht orthogonal, sondern in zwei Richtungen auf jeweils einen Fluchtpunkt zu.
Das Planungsteam setzte die nicht-orthogonale Kassettendecke mit 3D-gedruckten Aussparungskörpern um.

Der Neubau orientiert sich zu dem Schotterweg, der das Schloss an eine schmale, asphaltierte Straße und von dort an den See und den Ort anbindet. Im U-förmigen, heterogenen Ensemble bildet das Atelier einen der Endpunkte. Der Entwurf für den schlichten Mauerwerksbau stammt von Hans Kupelwieser selbst. Weiterentwickelt hat er ihn zusammen mit dem Institut für Tragwerksentwurf (ITE) der TU Graz – der Universität, an der Kupelwieser selbst lange Jahre am Institut für zeitgenössische Kunst Plastische Gestaltung gelehrt hat.

Tragwerk und Wirkung

Das Team vom ITE übernahm die Ausführungs- und Detailplanung sowie die Umsetzung der 100 Quadratmeter großen Decke des annähernd quadratischen Atelierraums. Grundlage war das Forschungsprojekt „COEBRO – Additive Fabrication of Concrete Elements by Robots“, das von der österreichischen Forschungsfördergesellschaft (FFG) unterstützt wurde. Das Tragwerk des Dachs wurde in Beton als Kassettendecke ausgeführt – mit einer außergewöhnlichen Erscheinung: Die Rippen verlaufen nicht orthogonal, sondern in zwei Richtungen auf jeweils einen Fluchtpunkt zu. Zusätzlich verjüngen sie sich in diese Richtung. Die Decke wirkt dadurch auf eigentümliche Weise perspektivisch verzerrt. Für Betrachterinnen und Betrachter, die das Atelier durchschreiten, scheint der Raum in einer stetigen dynamischen Umformung begriffen zu sein.

Schalung: Knick in der Optik

Das Planungsteam setzte die nicht-orthogonale Kassettendecke mit 3D-gedruckten Aussparungskörpern um. Jedes dieser 130 Elemente ist individuell geformt, die Wandbereiche leicht konisch ausgebildet und die Ecken weich abgerundet. Auf der konventionellen Trägerdeckenschalung sind sie so angeordnet, dass sie mit ihren Konturen die Schalung der Rippen der Kassettendecke formen. Anschließend wurde die Decke konventionell bewehrt und der Ortbeton in die Zwischenräume gegossen. Die Aussparungskörper übernehmen dabei die Funktion einer verlorenen Schalung.

Kooperation mit der Industrie

Eine natürliche Belichtung des Raums wird durch Oberlichter möglich, für die 24 der Aussparungskörper etwas höher und nach oben und unten offen ausgeführt wurden. Alle anderen Elemente wurden unten geschlossen gedruckt und bauseits mit dem Deckel nach oben auf eingemessenen Justierscheiben auf der Schalung positioniert.

Die individuellen Halbfertigteile wurden im Roboter Design Labor der TU Graz mit dem 3D-Betondrucksystem eines Herstellers, der bereits in das Forschungsprojekt als Partner intensiv eingebunden war, produziert. Die effektive Printdauer betrug rund 18 Stunden, dabei wurde ein Printpfad von 18 Kilometern zurückgelegt. Von dem speziell auf die 3D-Druckanlage abgestimmten Druckmaterial wurden 5,6 Tonnen verbraucht.

Form follows Force

Das gesamte Deckenfeld wurde direkt mit dem notwendigen Gefälle zur Dachentwässerung umgesetzt. Dies konnten erreicht werden, indem die Aussparungskörper bereits mit der gewünschten Neigung von zwei Prozent ausgeführt und so eine einfache Betonage möglich wurde. Zudem begünstigt die gewählte Gefällerichtung das Verhältnis von Trägerhöhen zu den jeweiligen Spannweiten.

Im Vergleich zu einer konventionellen Massivdecke – monolithisch mit Gefällebeton ausgeführt – konnte eine Materialersparnis von 40 Prozent erzielt werden. Die automatisierte Produktion der Aussparungskörper kann bei Kassetten- beziehungsweise Rippendeckenkonstruktionen zudem für eine Reduktion des Aufwands im Bereich des Schalungsbaus und des Ausschalens sorgen. Dadurch soll die weitgespannte Deckenkonstruktion im Schloss Seehof nicht nur für eine gestalterisch einzigartige Lösung stehen, sondern auch stellvertretend für eine zukunftsweisende Haltung zur Verwendung von Stahlbeton, die unter anderem auf wirtschaftliche und ressourcenschonende, digitale Fertigungsmethoden setzt. -chi

Bautafel

Architektur: Hans Kupelwieser mit Institut für Tragwerksentwurf / TU Graz (Team: Georg Hansemann, Robert Schmid, Christoph Holzinger, Joshua Paul Tapley, Stefan Peters, Andreas Trummer)
Projektbeteiligte: Labor für konstruktiven Ingenieurbau/TU Graz (Projektpartner), Baumit GmbH, Wopfing (3-D-Druckanlage BauMinator / Druckmaterial Baumit Printcret 230N9); Fa. Baumeister Gusel, Göstling an der Ybbs (Bauunternehmen)
Bauherr/in: Hans Kupelwieser
Standort: Seehof 1, 3293 Lunz am See
Fertigstellung: 2020
Bildnachweis: Institut für Tragwerksentwurf / TU Graz; Bernd Puritsch, Robert Schmid, Georg Hansemann

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