Ein Kloster in einem brasilianischen Arbeiter*innenviertel zu
entwerfen, ist eine ungewöhnliche Aufgabe. Dieser widmete sich das
Architekturbüro Mixtura aus Rom, verbunden mit einem jahrelangen,
gemeinsamen Planungsprozesses mit dem Bauherrn, der aus Italien
stammenden Fraternità Francescana di Betania
(Franziskanerbruderschaft von Bethanien). Im Jahr 2022 stellten sie
in der Küstenstadt Salvador de Bahia, der drittgrößten Stadt des
Landes, ein neues Gebäudeensemble für den Konvent fertig.
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Kloster als soziale Anlaufstelle
Die Außenstelle in Salvador de Bahia betreibt der ansonsten in
Italien und Aschaffenburg aktive Ordens seit 2010. Das Grundstück
befindet sich unweit einer Stadtautobahn in São Cristóvão, einem
als Favela bezeichnetem Viertel. Das Wort wird für dicht bebaute,
meist mit einfachen Mitteln errichtete Siedlungen verwendet, die
oft an den Stadträndern oder entlang großer Verkehrsachsen liegen.
In São Cristóvão gibt es viele junge Menschen: Laut Angaben des
Ordens sollen 70 % unter 25 Jahren alt sein und zudem in ernsten
Notsituationen leben.
Mit der Absicht ihnen eine Ausbildung bieten, zu der auch das
Evangelium und die Werte der Bruderschaft gehören, eröffneten die
Franziskaner 2012 bereits eine Tagesstätte für mehr als 100 Kinder
aus den umgebenden Favelas. Zehn Jahre später wurde das neue
Kloster eingeweiht. Geplant ist außerdem eine Schule. Über seine
spirituelle Funktion hinaus soll der Klosterbau ein sicherer
Treffpunkt für die Menschen aus der Nachbarschaft sein. Die
Architekturschaffenden entwarfen ein einladendes Gebäudeensemble,
das das Wesen der Franziskaner widerspiegeln soll: ein Ort des
Gebets und der Kontemplation, aber auch der Gastfreundschaft, des
Feierns und des Teilens. Wie ein großer Baum, der Schatten und
Schutz vor Sonne und Regen bietet, heißt der neue Konvent die
örtliche Gemeinschaft unter seinen gebäudeübergreifenden Dächern
willkommen.
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Ordensleben im tropischen Klima
In Zusammenarbeit mit der Bruderschaft wurde ein komplexes
Funktionsprogramm umgesetzt, das die Anforderungen des Ordenslebens
mit den klimatischen und sozialen Bedingungen in São Cristóvão in
Einklang bringt. Um die Spiritualität der Auftraggeber und den
besonderen Kontext zu verstehen, fanden die Planungen teilweise vor
Ort statt, wo die Architekt*innen den von vielen Regeln geprägten
Klosteralltag sowie den Einfluss des subtropischen Klimas auf den
Lebensstil miterlebten.
Dabei wurde klar, dass sich die Installation von Klimaanlagen
nur mit einem konstruktiven Sonnen- und Regenschutz, der zugleich
Luftbewegungen zwischen den Gebäuden erlaubt, vermeiden ließ.
Ebenso wurde den Planenden bewusst, dass die Architektur eines
religiösen Gebäudes wie diesem auch einen symbolischen Charakter
hat, und den Gläubigen ein Gefühl von Vertrautheit
und Geborgenheit vermitteln sollte.
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Neuinterpretation einer bekannten Typologie
Die klassisch-introvertierte Klostertypologie, bei der alle
Gebäude um einen Kreuzgang herum gruppiert sind, wurde neu
interpretiert. Die Anzahl der Kreuzgänge wurde auf fünf erhöht und
die Gebäude wurden weniger dicht angesiedelt, damit kühlender Wind
alle Gebäude und Freiflächen erreicht.
Im Westen, gegenüber dem Eingangstor und an der neben der
Stadtautobahn verlaufenden Zufahrtsstraße, liegt der öffentliche
Teil des Komplexes. Hier befinden sich die Empfangshalle, der
Speisesaal (Refektorium), die Kirche und die Sakristei. Obwohl sie
anhand der Fassaden und Zwischenräume als eigenständige Gebäude
erkennbar sind, verbindet sie ein gemeinsames, angehobenes Holzdach
zu einer architektonischen Einheit. Vor der Kirche ragt ein ein Arm
des Daches weit über den Vorplatz, unter den bis zu 500 Sitzplätze
passen. So gibt es nicht nur einen sonnengeschützten Treffpunkt vor
dem Gottesdienst, sondern er kann sogar im Freien stattfinden.
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Das Refektorium ist eines der repräsentativsten Gebäude des
Klosters, da hier auch Veranstaltungen stattfinden. Das Dach tragen
sechs Stahlsäulen, die es über die Gebäudehülle heben und so von
ihr lösen. Diese besteht – wie bei einem Brise Soleil – aus
stehenden Holzlatten, zwischen denen jeweils ein Spalt freigelassen
wurde, sodass die Hülle luftdurchlässig ist. Im Erdgeschoss und an
einigen Stellen im Obergeschoss sind die Holzlatten zu einer Reihe
von Paneelen zusammengefasst, die als Wendetüren
funktionieren.
Sehr ähnlich ist die Hülle der benachbarten Kirche. Hier
befinden sich die Holzlatten jedoch in einem ornamental wirkenden
Fachwerk. Diese Struktur bildet ein Kreuz an der Rückwand – der
Fixpunkt des Innenraums, vor dem ein Kruzifix angebracht ist. An
der Hauptfassade ermöglichen wendbare Paneele den Kirchraum zum
überdachten Vorplatz zu öffnen. Das Gebäude, das die Sakristei und
die Empfangshalle beherbergt, verfügt über weiß verputzte
Außenwände. An der Hauptansicht wird diese massive Fassade von vier
bis unter das Dach reichenden Türen unterbrochen. Sie bestehen aus
Rahmen, die mit horizontalen Holzlamellen gefüllt sind. Ähnlich
ausgebildet ist die Fassade der Schulungsräume und des Kapitelsaals
im Nordosten des Areals, die ebenfalls über ein gemeinsames,
angehobenes Dach verfügen.
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Allein die Bibliothek, die sich zwischen der Sakristei und den
Verwaltungsgebäuden im Nordosten befindet, steht deutlich für sich:
Das an vier Säulen aus Kumaru-Holz aufgehängte Gebäude verfügt über
ein eigenes, auf den Außenwänden aufliegendes Dach. Ist er nachts
von innen beleuchtet, wirkt der kleine Bau mit seiner
Polycarbonat-Fassade wie eine Laterne.
Im Südosten befinden sich vier um einen Hof angeordnete
Wohnhäuser. Die viergeschossigen Gebäude mit den Zellen der Mönche
sind so unterteilt, dass der Wind in den Innenhof eindringen kann.
Die Außenwände aus vorgefertigten Stahlbetonelementen sind
größtenteils von einem Holzskelett umgeben, das auch Laubengänge
und Treppen aufnimmt. Während die Gebäudehülle in den unteren drei
Geschossen jeweils von Brises Soleils aus Holz geprägt sind, bleibt
im obersten Geschoss eine Außenwand aus vorgefertigten
Betonelementen mit kleinen, ornamentalen Öffnungen sichtbar. Solche
Elemente – bekannt unter dem Namen Cobogo – helfen,
Luft durchzulassen, zugleich aber Schutz vor Regen und Privatsphäre
zu gewährleisten. Daher sind sie in tropischen Klimazonen weit
verbreitet.
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Verschiedene Strategien gegen Überhitzung
Durch die Verwendung von Fotovoltaikpaneelen für die Strom- und
Warmwassererzeugung und die Rückgewinnung von Regenwasser ist der
Klosterkomplex außerdem weitgehend unabhängig von den städtischen
Versorgungsnetzen. Zusätzlich sollte die Installation von
Klimaanlagen vermeiden werden und dazu setzte man ausschließlich
auf konstruktiven Sonnenschutz. Die klimatischen Besonderheiten der
Umgebung nutzend, wurden die Gebäude auf dem Gelände so verteilt,
dass die von Osten kommende, beständige Meeresbrise innerhalb des
Komplexes zirkuliert, in einer Abfolge von Engstellen und
Aufweitungen der Räume auf dem Areal.
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Je nach Funktion wurden bei den Gebäuden unterschiedliche
Low-Tech-Strategien angewendet: Im Refektorium und in der Kirche,
also den Gebäuden mit den meisten Besuchern, sind die Hüllen
winddurchlässig. Brise Soleils und Wendeflügel in der
durchlässigen Holzfassade regulieren den Luftstrom und filtern
das Licht. Die Empfangshalle und die Sakristei im
Nordwesten erhielten eine geschlossenere Gebäudehülle, um
Privatsphäre und Sicherheit zu gewährleisten. Die Mauerwerkswände
wurden besonders dick ausgeführt, um ihre Speichermasse zu erhöhen und die Wärmeabgabe
weiter zu verzögern. Auch hier ermöglichen vier raumhohe
Lamellentüren aus Holz die Luftzirkulation zu steigern.
Die gemeinsamen Dächer von Kapitalsaal, Schulungsräumen und
Werkstatt sowie von Sakristei und den Verwaltung sind von der
Gebäudehülle getrennt und angehoben. So kann unter ihnen warme Luft
entweichen. Die die Bibliothek hingegen ist im Erdgeschoss völlig
offen und nutzt den Kamineffekt zur Kühlung der Räume. Bei den
Wohngebäuden verschatten das weit auskragende Dach und die
Laubengänge die Stahlbetonaußenwände. Vor den Laubengängen wiederum
sind verstellbare Brise Soleils angebracht, vor Sonne und Regen und
zugleich eine wetterunabhängige Querlüftung über Türen und Fenster
ermöglichen.
Permanent in gleicher Form vorhanden, prägen feststehende Sonnenschutzeinrichtungen das Fassadenbild und sollten darum schon früh im Entwurfsprozess berücksichtigt werden.
Grundlagen
Zur Geschichte des Sonnenschutzes
In der griechischen und römischen Antike, also im Mittelmeerraum mit hohen sommerlichen Temperaturen, waren kleine oder große...