Gainsborough´s House in Sudbury
Regionales Mauerwerk in Weboptik
In der kleinen Marktstadt Sudbury in der ostenglischen Grafschaft Suffolk, steht das Geburtshaus eines der bedeutendsten englischen Porträtisten und Landschaftsmaler des 18. Jahrhunderts: Thomas Gainsborough. Das einstige Wohnhaus der Familie Gainsborough wird seit rund sechzig Jahren als Museum genutzt. Das in London ansässige Architekturbüro Zmma plante die Sanierung des denkmalgeschützten Museumsensembles sowie einen markanten Erweiterungsbau.
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Bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr lebte der Künstler in der heute nach ihm benannten Straße, dann wurde er nach London geschickt. Trotz seines Durchbruchs als Porträtist für den Landadel blieb die Landschaftsmalerei seine Leidenschaft, welche ihn mit seiner idyllischen Heimat verband und ihn immer wieder dorthin zurückführte. Wie so viele vergleichbare Städte im Osten Englands machte sich auch Sudbury einen Namen als spätmittelalterliche Textilhochburg. Bekannte Seidenproduktionsstätten wie die noch heute existierende Vanners Silk Factory entstanden; heute zieht es besonders Kunstliebhaber in die Gegend.
Das ursprünglich aus zwei mittelalterlichen Fachwerkhäusern bestehende Geburtshaus Gainsboroughs wurde im Jahr 1722 von der Familie des Künstlers gekauft und umgebaut. Dabei erhielt das Haus eine Vorsatzschale aus dem für die Region typischen roten Backstein. So fügt es sich bis heute in die georgianische Reihenhausbebauung ein. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nutze man das Haus als Herberge, bis es in den 1960er-Jahren schließlich zum Museum, dem Gainsborough’s House, umgenutzt wurde.
Dach- und Gartenlandschaften
Das heutige Museum setzt sich aus mehreren Häusern zusammen. Es zieht sich von dem Geburtshaus des Malers in der heutigen Gainsborough Street bis in die nördlich abgehende Weavers Lane, in der sich bis zur Neueröffnung des Ausstellungsbetriebes 2022 auch die Vanners Silk Factory befand (über 280 Jahre lang!). Aufgrund intensiver Vibrationen der schweren gusseisernen Webstühle in der Seidenfabrik hatten die umliegenden Gebäude irreparable Schäden an ihrer tragenden Struktur erlitten – darunter auch das aus den 1930er-Jahren stammende Sudbury Arbeitsamt, welches direkt an das geplante Museumsensemble anschloss. Das Backsteingebäude, welches in der ursprünglichen Planung des Architekturbüros als letzter Teil der Ensembles dienen sollte, war somit für eine Umnutzung nicht mehr geeignet und musste einem Neubau weichen.
Dieser schließt, wie auch sein Vorgänger, direkt an die
kleinteilige Bestandsbebauung an. Ebenso greift die rhythmische
Dachlandschaft des Bauwerks die Struktur der umliegenden Dächer
auf. Zugleich mutet sie wie eine Fusion aus Sheddach und
traditionellem Satteldach an und lässt damit auch Assoziationen mit
historischen Fabrikgebäuden zu. Dazu passt auch die dunkelbraune
Dachbekleidung aus Stehfalzblech. Ein großzügiger und dicht
bewachsener Garten verbindet über eine Rampe den Neubau mit den
zugehörigen Bestandshäusern, in denen ein Café mit Außenbereich,
ein Workshop-Raum sowie verschiedene Museumsshops zu finden
sind.
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Regionales Mauerwerk in vielfältiger Ausführung
Die Hülle des Ausstellungshauses gliedert sich insbesondere durch ihre unterschiedliche Materialität in zwei Bereiche. Schon von weitem erinnert das dreidimensionale Muster der Gebäudekrone aus roten Ziegeln an ein Webmuster und beruft sich so auf die Geschichte des Ortes. Um dieses Bild zu kreieren, entwickelten die Architekturschaffenden sechsunddreißig individuelle Ziegelsteine mit den Maßen 25 x 10 cm und ließen diese im Läuferverband vermauern. Die Ziegel wurden von einer regionalen Firma auf traditionelle mittelalterliche Weise handgefertigt: Das Brennen erfolgte, wie für das seit dem 15. Jahrhundert etablierte Unternehmen üblich, im einzigen noch bestehenden Bienenstockofen Großbritanniens. Im Gegensatz zur Fertigung im Ziegelwerk lassen sich bei der traditionellen Herstellung die Temperaturverhältnisse nicht eindeutig regeln. Auch die Außentemperatur spielt eine große Rolle, da die Ziegelöfen in der Regel im Außenbereich stehen. So kann es zu einem zu frühen Austrocknungsprozess und einer starken Rissbildung kommen, die den Ziegel unbrauchbar macht. Das passierte auch in diesem Fall; durch die hohen Außentemperaturen ließen sich nur ein Fünftel der gebrannten Ziegel verarbeiten. Dennoch konnte die Fassade wie geplant fertiggestellt werden.
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Der Sockel des Ausstellungshauses nimmt sich gegenüber der Krone zurück. Die Planenden setzten hier Bruchsteinmauerwerk aus regionalem Feuerstein ein. Wieder reflektiert die Materialwahl die traditionell historischen Bauweisen und Ressourcen des Ortes. Das Natursteinmauerwerk ist in regelmäßigen Abständen durch vertikale Cortenstahl-Lamellen unterteilt.
Auf den Spuren von Gainsboroughs Heimat
Ein Gebäudeeinschnitt an der östlichen Längsseite markiert den Haupteingang und leitet die Besucher*innen in einen überschaubaren Empfangsbereich als Orientierungs- und Erschließungsraum für die insgesamt 1.650 m² große Ausstellungsfläche. Wie sich bereits an der Kubatur des Baus ablesen lässt, sind auch die Innenräume unregelmäßig und passen sich den nach Themen gegliederten Ausstellungsbereichen an. So findet man im nördlichen Teil des Gebäudes die 120 m² große Timothy & Mary Clode Gallery, die nach zwei Sponsor*innen und großen Gainsborough-Liebhaber*innen benannt ist und die sich über die gesamte Gebäudehöhe erstreckt. Die unregelmäßige Dachfläche bildet sich hier mit mehreren Schrägen auch im Innenraum ab.
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Der Südteil hingegen ist in drei Geschosse unterteilt. In ihm befinden sich ein Studio und drei weitere, wesentlich kleinere Ausstellungsräume, die sich den unterschiedlichen Schwerpunkten der Arbeit des Künstlers widmen. Die im Erdgeschoss angeordnete Gainsborough Gallery widmet sich seinem Schaffen als Porträtmaler. Eine traditionell gemusterte Seidentapete in tiefem Grün bekleidet die Wände und versetzt den Raum – passend zu den Exponaten – in das 18. Jahrhundert zurück. Mit einer lichten Raumhöhe von 3,8 Metern ist er der größte Ausstellungsraum im südlichen Gebäudetrakt. Die Raumhöhe bedingt sich durch die Größe der Gemälde; diese sind zum Teil bis zu drei Meter hoch.
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Im ersten Obergeschoss blickt man in der Mulberry Gallery durch das einzige Fenster im Raum auf den Garten, in dem der gleichnamige Baum steht, den auch die Familie des Malers schon genoss. Straßenseitig grenzt die SudburyGallery an. Ein großes, lichtdurchflutetes Atelier mit Landschaftsmalereien des Künstlers und einer originalen Camera obscura im zweiten Obergeschoss schließt den Rundgang auf den Spuren Gainsboroughs ab und lässt die Besucher*innen – nicht zuletzt durch die großzügige Aussicht – die Landschaft und Umgebung so wahrnehmen, wie auch der Maler sie einst wohl gesehen haben mag. -sm
Bautafel
Architektur: ZMMA Architects, London
Projektbeteiligte: Thomas Sinden, Romford (Generalunternehmen); Eckersley O´Callaghan, London (Tragwerksplanung); PT Projects, London (Finanzberatung); QODA (Planungsberatung); Sutton Vane Associates, London (Lichtplanung); Artelia UK, London (Projectmanagement); KME, UK (Dacharbeiten); IQ Glass, Amsterdam (Fenster); Bulmer Brick & Tile, Sudbury (Fassade/Ziegel); Bassett & Findley, Northhamptonshire (Geländer); FSE Foundry, Essex (Gitterroste); Cornish Concrete Products, Truro (Treppen)
Bauherr*in: Gainsborough’s House
Fertigstellung: August 2022
Standort: 46 Gainsborough Street, CO10 2EU Sudbury, England
Bildnachweis: Hufton + Crow
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