Beim Blick auf das Luftbild des siebenteiligen Matrix
Innovation Campus im Amsterdamer Science Park sticht eine
Farbnuance besonders hervor: das charakteristische Graublau der
Photovoltaikmodule, die die Dächer der Forschungs- und Bürogebäude
bedecken. Dass sich die Dichte an Solaranlagen an diesem Ort ballt,
hat einen guten Grund. Hier arbeiten Menschen aus
Hochschuleinrichtungen und jungen Unternehmen Tür an Tür an
zukunftsweisenden Technologien. Das größte der sieben Bauwerke
auf dem Campus ist das kürzlich fertiggestellte Matrix One,
entworfen vom Architekturbüro MVRDV.
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Das 13.000 m² Hauptgebäude beherbergt nicht nur Büros und
Labore, sondern ist zugleich soziale Mitte für die Mitarbeitenden
der gesamten Anlage. Hinter dem Haupteingang an der südlichen
Gebäudeecke beginnt die sogenannte „Soziale Treppe“, die die
im Zickzack über das Gelände verlaufenden Wege in der Vertikalen
fortführt. Tribünenartige Sitzflächen für Präsentationen, Tische
für informelle Meetings und Kaffee-Stationen sollen die
Entwickler*innen im Gebäude zum Aufenthalt und Austausch
anregen.
Den Bereich gestaltete das Team von MVRDV in Zusammenarbeit mit
Up Architecture. Üppig begrünte Wände wechseln sich mit akustisch
wirksamen Lamellenverkleidungen und hellen Holzoberflächen ab,
wodurch eine ruhige und intime Atmosphäre entsteht. Ergänzt wird
dieser Bereich durch weitere gemeinschaftliche Angebote, zum
Beispiel das Restaurant im Erdgeschoss, die Bar am oberen Ende der
Sozialen Treppe sowie ein großes Auditorium mit einhundert
Plätzen.
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Zickzack in der Fassade
Der Verlauf der Sozialen Treppe ist bereits von außen in der
Fassade ablesbar: Die Reihen aus Fensterbändern und schindelartig
angeordneten, rautenförmigen Aluminiumelementen werden an dieser
Stelle durch großflächige Glasfassaden aufgebrochen. Um sie
wiederverwenden zu können, sind die Fassadenrauten mit den
darunterliegenden Holzfassadenelementen lediglich verschraubt.
Einige der Module, die nach Nordosten orientiert sind, verfügen
außerdem über integrierte Nistkästen für Vögel. Zusammen mit den
Insektenhotels auf dem Dach soll so die Biodiversität auf dem
Campus erhöht werden. Die begrünte Dachfläche trägt außerdem zur
Dämmung und Kühlung der oberen Geschosse bei.
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Demontierbar bis zum Kern
Schlüsselmerkmal des Bürogebäudes ist seine kreislauffähige
Bauweise: Über 90 Prozent der Gebäudemasse kann zerlegt werden und
die einzelnen Elemente sollen – etwa dank einfacher
Verbindungen mit Schrauben und Bolzen – in gleicher Qualität
wiederverwendbar sein.
Die Primärstruktur von Matrix ONE besteht aus einem Stahlskelett
und vorgefertigten Hohlkörperdecken, die mit lösbaren Verbindungen
konstruiert wurden. Die übliche Ortbetonschicht auf den
vorgefertigten Deckenelementen wurde weggelassen und durch dünne
Stahlverstrebungen unter dem Boden kompensiert. Um Material bei den
Decken einzusparen, wurden kleine Spannweiten umgesetzt; dabei
erlaubt die Stahlskelettstruktur zugleich, die Grundrissaufteilung
immer wieder anzupassen.
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In den Arbeitsbereichen ist der Bodenbelag – der zu 95 % aus
biobasierten und erneuerbaren Materialien bestehen soll – auch
unterhalb der Innenwände durchgängig, sodass diese beliebig
demontiert und an anderer Stelle aufgestellt werden können. Die
Akustikwände mit Lamellenverkleidung sind
Cradle-to-Cradle-zertifiziert und lassen sich dank ihrer
Befestigung in Metallprofilen zerstörungsfrei ausbauen und
zerlegen.
Für die technischen Anlagen und Installationen wurden
vorgefertigte, modulare Standardelemente verwendet, die im gesamten
Gebäude in einem Raster von 1,8 mal 1,8 Metern angeordnet sind. Die
Installationsschächte und deren Revisionsöffnungen befinden sich
vornehmlich in den Erschließungsbereichen, sodass die Geräte ohne
eine aufwändige Öffnung von Decken oder Wänden gewartet oder
ausgetauscht werden können – was wiederum Abfall reduziert und
Material spart.
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Für die Wiederverwendung dokumentiert
Das digitale Modell des Gebäudes mit seinen über 120.000
Einzelteilen wurde in die
Materialdatenbank Madaster aufgenommen, um sie für
eine potenzielle Wiederverwendung zugänglich zu machen.
Außerdem sind die Bauteile entsprechend ihrer
voraussichtlichen Lebensdauer in Kategorien eingeteilt: Möbel
haben beispielsweise die kürzeste Lebensdauer, die Tragkonstruktion
die längste. Entsprechend wurde so gebaut, dass die Elemente mit
kürzerer Lebensdauer aufgerüstet oder entfernt werden können, ohne
dass die anderen Bauteile dabei beeinträchtigt werden.
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Energieerzeugung und -verbrauch
Der Neubau ist als Niedrigstenergiegebäude und als
BREEAM-NL-Excellent zertifiziert. Dafür wurden verschiedene
Strategien angewendet: Zunächst führt die kompakte Form des
Gebäudes zu einem günstigen Verhältnis von Fläche zu Fassade, was
sowohl Material als auch Energie spart. Außerdem ist durch den
hohen Glasanteil in der Fassade und das Glasdach über dem Atrium
weniger künstliches Licht nötig. Automatisierte
Sonnenschutzvorrichtungen verringern zugleich den Wärmeeintrag in
den Sommermonaten, was wiederum den Bedarf an Klimatechnik
reduziert.
Der Bereich rund um die Soziale Treppe ist auch aus
klimatechnischer Sicht besonders: Über Lüftungsöffnungen im
Fußboden strömt Frischluft in den Raum, die durch das zu öffnende
Dach wieder entweichen kann. Wer sich in den Arbeitsbereichen
aufhält, kann Temperatur und Licht über eine App anpassen. In
Kombination mit Sensoren kann also die Leistung der
mechanischen und elektrischen Anlagen überwacht und gesteuert
werden. Die Gemeinschaftsbereiche sind zudem mit sensorgesteuerten
Beleuchtungssystemen mit Bewegungsmeldern ausgestattet, sodass das
Licht nur bei Bedarf eingeschaltet wird. Zur weiteren
Klimatisierung gibt es eine Wärmepumpe mit Kälte- und Wärmespeicher
sowie ein Wärmerückgewinnungssystem. Diese nutzt die verbrauchte
Luft aus den Arbeitsräumen, um die einströmende Frischluft am
oberen Teil des Atriums zu erwärmen.
Strom liefern die rund 1.000 Quadratmeter Photovoltaikpaneele
auf dem Dach, während über das Internet vernetzte Geräte zur
Senkung des Energieverbrauchs beitragen. Die Versorgung wichtiger
Laborgeräte erfolgt über einen separaten Stromkreis. Insgesamt
produziert das Gebäude einen erheblichen Teil der Energie, die für
seinen Betrieb nötig ist. -si
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Bautafel
Architektur: MVRDV, Rotterdam Projektbeteiligte: De Vries en Verburg, Stolwijk (Bauunternehmen); Stone 22, Rotterdam (Projektkoordination); IMD, Rotterdam (Tragwerksplanung); Deerns, Den Haag (Bauphysik, TGA); IGG, Den Haag (Kostenkalkulation); ATKB, Assen (Umweltberatung); Karres+Brands, Hilversum und Gemeinde Amsterdam (Landschaftsarchitektur); MVRDV, Rotterdam und Up Architecture, Castricum (Innenarchitektur) Bauherr*in: Matrix Innovation Center, Amsterdam Standort: Science Park 301, 1098 XH Amsterdam, Niederlande Fertigstellung: 2023 Bildnachweis: Daria Scagliola (Fotos); MVRDV (Grafiken)
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