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The Malthouse in Canterbury
Umwandlung zum Theater der King's School
Zur Herstellung von Whisky und für das Bierbrauen ist Malz essenziell. Beides hat in England eine lange Tradition. Um 1900 vollzog sich das Mälzen von Gerste in drei Schritten: Das mit Wasserdampf befeuchtete Getreide wurde zuerst auf gefliesten Böden ausgebreitet, um zu Keimen. Dann wurde es auf perforierten Untergründen verteilt, geharkt und mittels Heißluft aus koksbefeuerten Öfen getrocknet. Es folgte eine Siebung und Lagerung in riesigen Trichtern, bis das Malz zum Transport in Säcke abgefüllt wurde. Dieser Prozess bestimmt die Struktur des 1898 in Canterbury errichteten Gebäudes The Malthouse, ursprünglich die Mälzerei der Brauerei Mackeson Stout.
Gallerie
Steildächer, Öfen, Fliesen und gusseiserne Säulen
Das dreiteilige Prinzip ist dem rötlichen Backsteinkoloss mit
gewaltigem schiefergedeckten Walmdach
kaum anzusehen. Im Grundriss allerdings ist es ablesbar, ebenso in
der Höhe und Ausbildung der Dachform (Abb. 17-21). Diese ist
oberhalb der drei bis fünf Geschosse differenziert: Über den
Lagerräumen an der Südwestseite bilden zwei parallele Spitzdächer
ein Faltwerk. Über dem mittleren Teil mit monumentalen Ziegelöfen
und perforierten Trockenböden erheben sich drei Dachstühle mit
jeweils zentralem Schornstein, die durch eine Firstlinie verbunden
sind. Der größte Gebäudeteil mit fünf Stockwerken hat niedrige
Decken, Fliesenböden und gusseiserne Säulen. Auf dem ausgedehnten
Steildach in Anthrazit verteilen sich Zwerchhäuser mit weißen
Giebeln. Der funktionale Ziegelbau verfügt über kleine, regelmäßige
Fensteröffnungen.
Ein Theater für The King's School
Der Bestand unweit der Bahngleise von Canterbury West Station bot
also spannende Räume. In den 1960er-Jahren befand sich dort ein
Warenhaus für Autoersatzteile. 2011 erhielt die renommierte
Ganztagsschule mit Internat The King's School das Angebot,
das Gebäude für Theaterproben und -aufführungen zu nutzen.
Darstellende Kunst spielt im Lehrbetrieb der ältesten öffentlichen
Schule Englands (auf dem Gelände von Abtei und Kathedrale findet
seit etwa 600 n. Chr. Unterricht statt) eine wichtige Rolle;
bedeutende Theaterproduktionen haben hier ihren Ursprung. Das
Londoner Büro Tim Ronalds Architects erhielt infolge eines
Wettbewerbs den Auftrag, das Industriedenkmal in das Malthouse
Theatre Canterbury umzuwandeln.
Eine ganz besondere Atmosphäre bestimmte die leeren Räumlichkeiten – die mit Säulen bestückten niedrigen Hallen weckten bei den Architekten beispielsweise Assoziationen zur Moschee in Cordoba. Platz war reichlich vorhanden, eine Intervention unter Wahrung des spezifischen Charakters jedoch schwierig. Weil es kein Volumen in der Größe eines Auditoriums gab, schufen die Planenden es mittels „struktureller Chirurgie”.
Implementierung des Bühnensaals
Über das Dach wurden stählerne Fachwerkträger und Stützen
eingebracht, die bestehende Struktur teils gekappt, um in dem
größten, nordöstlichen Block einen über drei Etagen offenen Raum
mit seitlichen Auflagern zu schaffen. Für die ambitionierten
Aufführungen waren eine flexibel bespielbare Bühne mit „fliegender”
Technik notwendig, die auch mal Schülerinnen und Schüler bedienen
können, eine Unterbühne mit Orchestergraben sowie rund 400
Sitzplätze. Rückwärtig an die Bühne dockt ein Anbau aus Wellblech
für Szenen- und Bühnenbilder.
Licht, Luft und Stahltreppen im Foyer
Der mittlere Gebäudeteil mit den Ziegelöfen dient heute als Foyer.
Ein zentraler Ofen wurde dafür weitgehend rückgebaut. Freitragende
Stahltreppen mit massiven Holzstufen verbinden nun die vier Ebenen.
Auf der obersten Etage des südwestlichen Warenlagers ist Platz für
ein Tanz- und ein Theaterstudio. Die originalen, mächtigen
Fachwerkträger aus Holz wurden hier durch wesentlich schmalere aus
Stahl ersetzt, um den Dachraum zu erhöhen. Darunter befindet sich
ein Klassenzimmer mit Vorraum, während im Erdgeschoss die Küche und
Sanitärräume untergebracht sind.
Eine ganze Etage des ausgedehnten Komplexes steht für Garderobe und Requisiten zur Verfügung. Es gibt Umkleideräume auch für Gastkompanien, Ateliers und Proberäume mit verkohlten Holztraversen knapp über Kopf, einen großen Backstage-Bereich und Werkstätten.
Industrieller Charme: original und neu
Mit dem Ziel, soviel wie möglich vom ursprünglichen Gebäude zu
erhalten, wurde jeder Eingriff sorgfältig abgewägt. Die Textur der
Ziegelwände, die gusseisernen Säulen, schweren Holzböden und
Traversen verleihen dem ehemaligen Malzhaus bis heute seinen
charakteristischen Charme. Erhalten blieben auch die perforierten
Terrakottafliesen, die zur Trocknung der Gerste eingesetzt wurden,
sowie eiserne Stützgerüste.
Neue Theaterbalkone sind ganz schlicht aus Brettern und Konsolen erstellt. Hinzugefügt sind auch die Oberlichter, um Tageslicht tief ins Gebäude zu führen. Damit das äußere Erscheinungsbild dem Ursprungszustand nahe kommt, wurden die im Laufe des 20. Jahrhunderts vollzogenen Änderungen rückgängig gemacht. Holzaufbauten für Schornsteine, Aufzüge und Hebewerke wurden erneuert und sorgen für eine lebendige Dachlandschaft, Fenster ließ man auf Originalgröße zurückbauen.
Dachaufbauten mit traditioneller Schieferdeckung
Die historische Dachdeckung aus Schiefer
in Rechteck-Doppeldeckung
wurde ebenso wie Teile der Dachkonstruktion erneuert. Die
Schieferplatten im Format 60 x 30 cm sind auf einer Lattung mit
Konterlattung
auf einer Holzschalung vernagelt. Es gibt unterschiedliche
Dachaufbauten – je nachdem, ob die historische Untersicht
erhalten blieb oder nicht. Letzteres war etwa in den Tanz- und
Theaterstudios der Fall: Hier wurden die historischen Sparren
aufgedoppelt (Abb. 22). Die neue Zwischensparrendämmung befindet
sich oberhalb der alten Konstruktion, darüber folgt eine
Luftschicht. Im Dachgeschoss mit Gerätetechnik erhielt der
historische Dachaufbau eine unterseitige Dämmung (Abb. 23).
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Bautafel
Architektur: Tim Ronalds Architects, London
Projektbeteiligte: Price & Myers, London (Statik); Skelly & Couch, London (TGA); Buxton Building Contractors, Caterham (Bauunternehmen)
Bauherr/in: The King’s School, Canterbury
Standort: Malthouse Rd, Canterbury CT2 7JA, Vereinigtes Königreich
Fertigstellung: 2019
Bildnachweis: © Philip Vile
Fachwissen zum Thema
Rathscheck Schiefer und Dach-Systeme, Mayen | Kontakt 02651 955 0 | www.rathscheck.de