Archäologisches Museum Narbo Via in Narbonne
Spuren im Stampfbeton
Dort, wo sich die heutige Stadt Narbonne im Süden Frankreichs befindet, errichteten die Römer um 118 vor Christus eine Siedlung namens Colonia Narvo Martius – die erste römische Kolonie außerhalb der Apenninhalbinsel und Hauptstadt der damaligen Provinz Gallia Narbonensis. Zahlreiche antike Fundstücke aus der Umgebung zeugen von dieser Zeit – die sich lange Zeit auf diverse Orte, Museen und Depots verteilten. Um die Sammlung von rund 15.000 Exponaten an einem Ausstellungsort zu bündeln, gab die Region Okzitanien einen Museumsneubau in Auftrag. Das Baugrundstück befindet sich am südwestlichen Rand Narbonnes, unmittelbar am Canal de la Robine – der bereits zu Zeiten der Römer als Wasserverbindung von Narbonne zum Mittelmeer entstand.
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Den ausgelobten Wettbewerb hatte das Londoner Büro Foster+Partner für sich entschieden. Eingeweiht wurde das Museum für Römische Altertümer Narbo Via im Dezember 2021. Die Bezeichnung leitet sich dabei vom Namen und dem besonderen Standort der Stadt Narbonne ab: In der Antike kreuzten sich hier die beiden wichtigsten Römerstraßen Galliens – die Via Domita als Landweg von Italien zur Iberischen Halbinsel und die Via Aquitania als Verbindung von Mittelmeer und Atlantik. Gleichzeitig begegnen sich hier symbolisch Architekturen der Gegenwart und Vergangenheit.
Anlässlich der Eröffnung fasst Sir Norman Foster zusammen: „Die Künste sind für das Leben in der Stadt von entscheidender Bedeutung, und ein Kulturbau hat das Potenzial, das Gefühl für den Ort neu zu erfinden sowie physische und soziale Barrieren zu überwinden.“
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Forschung, Lehre und Ausstellung unter einem Dach
Rund 22.000 Quadratmeter umfasst das Gesamtareal. Darauf entstand auf einem leicht erhöhten Podest der Museumsneubau auf nahezu quadratischem Grundriss mit Abmessungen von 91 auf 86 Metern. Zum Großteil erstreckt sich das Raumprogramm auf das Erdgeschoss mit rund sieben Metern Raumhöhe. In den privateren Funktionsbereichen finden sich zudem Räume, die auf zwei Geschosse mit halber Raumhöhe verteilt sind.
Das Raumprogramm ist zweigeteilt: Die südlichen Zweidrittel der Fläche beherbergen den Haupteingang samt Foyer, die Räume der Dauer- und Wechselausstellungen, ein multimediales Bildungszentrum, ein Auditorium, sowie das Restaurant und die Buchhandlung. Das restliche Drittel im Norden hingegen ist einer privateren Nutzung zugeschrieben: Hier findet sich die archäologische Abteilung mit ihren Einrichtungen für Forschung, Restaurierung und Lagerung.
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Hochregal trennt und vermittelt
Räumlich getrennt sind diese beiden Funktionsbereiche durch das Herzstück des Museums: Die Mur Lapidaire – ein mächtiges, raumhohes Hochregal, das sich durch den gesamten Innenraum erstreckt – begleitet von einem durchgehenden Oberlicht, dass das Regal über die gesamte Länge belichtet und inszeniert. Auf 76 Metern Länge und zehn Metern Höhe lagert und präsentiert das überdimensionale Raum- und Funktionselement 760 antike Steinblöcke ehemaliger römischer Monumentalbauten und vermittelt zwischen Restaurierungsarbeit und Ausstellung. Dieser Vermittlungscharakter wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass die Rückwand aus einem Metallgitter besteht und Besucher*innen einen diffusen Blick in die Werkstätten und Forschungseinrichtungen erhaschen können. Im Außenbereich ergänzen gestaltete Gärten und ein Amphitheater für Aufführungen das Angebot. Ein Fußgängerweg entlang des Kanals stellt die Verbindung zwischen Museum und Innenstadt her.
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Gebäudehülle aus Beton in kontrastierender Ausführung
Den zeitgenössisch gestalteten Rahmen für den antiken Inhalt bildet eine Massivbaustruktur in kontrastreicher Ausführung. Die Wände aus Stampfbeton stellen dabei einen Bezug zu unbewehrtem römischem Beton her – Stampfbeton stammt aus der Zeit der Antike. Die vor Ort gestampften rötlich-orangenen Schichten aus Beton, die auch nach dem Ausschalen sichtbar bleiben, wecken zudem Assoziationen an die Schichtfolgen von Sedimentgesteinen. Dadurch wird der archäologische Charakter des Museums auch nach außen transportiert.
Für die Umsetzung der Stampfbetonwände kam ein Trockenbeton mit niedrigem Zementgehalt zum Einsatz. Zuschlagstoffe aus lokalem Sedimentgestein ergänzen die Mischung und sorgen für die charakteristische Färbung. Dabei besteht sowohl die innere, als auch die äußere Schale aus Stampfbeton, dazwischen liegt die Dämmung. Die massiven Wände sind tragend; Sie nehmen die vertikalen Druckkräfte aus dem Dach auf und leiten sie weiter ins Fundament. Die Dachkonstruktion besteht aus Stahlbetonfertigteilbalken mit einer Spannweite von 15 Metern, die auf einem Raster aus tiefen Betonhauptträgern (Doppel-T-Träger) aufliegen. Umlaufend finden sich zwischen den Betonwänden vollflächig verglaste, raumhohe Fenster. Das allseits auskragende Dach aus grauem Sichtbeton besteht aus Betonfertigteilen, während ein Boden aus poliertem Beton die massive Raumhülle komplettiert.
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Beton als thermische Masse
Die allseitige Betonhülle dient gleichzeitig als thermische Masse und trägt zur Nachhaltigkeitsstrategie des Gebäudes bei. Das auskragende Vordach, das Gehwege rund um das Museum überdeckt, dient der Verschattung. Inspiriert von römischer Bautechnik befindet sich der Großteil der Versorgungseinrichtungen in einem unterirdischen Hohlraum. Die kühle Luft wird auf niedrigem Niveau und mit geringer Geschwindigkeit abgeführt, sodass nur wenig Luftmenge klimatisiert werden muss, während gleichzeitig ein angenehmes Raumklima herrscht. In den hohen Räumen wird die warme Luft auf natürliche Weise nach oben gedrückt, von wo aus sie abgeführt wird.
Bautafel
Architektur: Foster+Partners, London
Projektbeteiligte: Studio Adrien Gardère, Paris (Museumsberatung, Ausstellungskonzept); Oger International, Saint-Ouen-sur-Seine (Konzeptingenieur); Foster+Partners und SECIM (Tragwerksplanung); Foster+Partners und Technisphère, Toulouse (Umwelt-, Mechanik- und Elektroingenieure); Urbalab, Lyon (Hochbauingenieure); George Sexton Associates (Lichtplanung); Urbalab (Landschaftsarchitektur); Peutz (Akustikplanung); CSD (Brandschutztechnik)
Bauherr: Verwaltungsregion Okzitanien
Standort: 2 Av. André Mècle, 11100 Narbonne, Frankreich
Fertigstellung: 2020
Bildnachweise: Philippe Chancel; Nigel Young / Foster + Partners