Schaudepot in Essen
Sammeln, Bewahren, Erforschen
Die Kokerei Zollverein in Essen galt zu ihrer Bauzeit 1961 als modernste ihrer Art in Europa. Heute gehört sie als Architektur- und Industriedenkmal zum UNESCO-Weltkulturerbe. In der Kokerei stellte man aus Kohle Koks und Rohgas her. Aus dem Nebenprodukt Ammoniak gewann man Salz für die Landwirtschaft. Die von Fritz Schupp gebaute Salzfabrik auf dem Zollverein-Gelände stand jedoch seit 1993 leer. Im Sinne der nachhaltigen Wiederverwendung und Umnutzung von Gebäuden übernahm 2017 das Darmstätter Architekturbüro Planinghaus den Umbau zum Schaudepot des Ruhr Museums. Dabei hat das Gestaltungs- und Planungsbüro südstudio die Ausstellungsgestaltung in dieser speziellen Atmosphäre übernommen.
Gallerie
Kleine Geschichte des Museums
Die Geschichte der
Sammlungen und Museen reflektiert die lange Geschichte der
Ordnungsversuche von Dingen. Der wichtigste Wendepunkt in dieser
Geschichte war die Auflösung der Kunst- und Wunderkammern, deren
Bestände in den systematisch angelegten Sammlungen der Museen
aufgingen. So wurden nicht mehr die Sammlungen im Ganzen, sondern
vor allem einzelne Stücke gezeigt. Eine Folge der stetig wachsenden
Sammlungen durch vermehrte Forschung war die Abtrennung der
Sammlungsdepots von den Ausstellungsräumen. Der klassische
Sammlungsschrank des 18. Jahrhunderts wurde im Museum des 19.
Jahrhunderts zur Vitrine. In den 1970er-Jahren erfolgte erstmals
eine Didaktisierung der Objekte. Ausstellungsgestalter und Grafiker
entwarfen Ausstellungsarchitekturen. Es wurden spezielle Gehäuse
für einzelne Exponate entworfen, um diese besonders zur Geltung
kommen zu lassen. In den 1980er- und -90er-Jahren folgten dann die
ersten Inszenierungen von Ausstellungen, wie wir es heute
kennen.
Unsere heutigen Museen und Ausstellungen haben das Gelagerte
weitestgehend in unzugängliche Räume verbannt und damit für die
Besucherinnen und Besucher unsichtbar gemacht. Der relativ neue
Typus des Schaudepots versucht nun, dieses verlorene Terrain in
einer Mischung aus Ausstellen und Lagern wieder zurückzuerobern,
wie zum Beispiel beim Vitra Design Museum in Weil am Rhein, bei der
Rostocker Kunsthalle oder der Pinakothek der Moderne in München.
Recherche und Verortung der Exponate
Für die
Erarbeitung der Ausstellungsgestaltung musste südstudio viele
Recherchearbeiten durchführen. Denn im Schaudepot sollen alle
Sammlungsschwerpunkte des Ruhr Museums für die Besucher sichtbar
werden. Die Deponierung sollte nach dem aktuellen technischen
Standard erfolgen und dabei gleichzeitig einen hohen Schauwert
haben. Die räumlichen Anforderungen mussten mit der
Museumspädagogik, der Objektrestaurierung und der
Ausstellungsvorbereitung abgestimmt werden. Ebenfalls mussten
mögliche Konfigurationen für die Aufstellung der Fahranlagen und
Regale untersucht werden. Zur Vorbereitung haben die
Architekturschaffenden von südstudio andere Schaudepots besucht und
nach ihren unterschiedlichen Typologien zur Deponierung analysiert.
Auch erfolgte eine intensive Auseinandersetzung mit den Exponaten.
Der umfangreiche Bestand wurde gesichtet, hierarchisiert und alle
Objekte zeichnerisch in den Plänen verortet.
Ideale Bedingungen in der ehemaligen Salzfabrik
Der
Weg durch das Schaudepot des Ruhr Museums verläuft von oben nach
unten. Mit dem Panoramaaufzug fahren die Besucher und Besucherinnen
mit spektakulären Blicken durch die einzelnen Etagen bis auf die
oberste Ebene. Von dort führt der Weg über die drei Ebenen – Natur,
Kultur und Geschichte – abwärts in das Erdgeschoss. Der Gang durch
die Zeit beginnt chronologisch mit den ältesten Sammlungsstücken
der Geologie und führt über die Archäologie und die vormodernen
Bestände des Mittelalters und der frühen Neuzeit in den Bereich der
Industrie- und Zeitgeschichte der letzten 200 Jahre.
Gallerie
Die ehemalige Salzfabrik bietet ideale Bedingungen für ein Schaudepot. Der Zweckbau aus den 1960er-Jahren erscheint von außen eher unauffällig. Die nur zu erahnende imposante Innenarchitektur liefert die Grundlage für eine eindrucksvolle Präsentation der Sammlungen des Ruhr Museums. Hinter der Fassade öffnen sich zwei 18 Meter hohe Lichthöfe und die eindrucksvolle Betonskelettstruktur mit ihren Verbindungsbrücken. Diese Innenarchitektur wurde komplett erhalten, ebenso wie die massiven Spuren der Industrieproduktion. Die Struktur des Gebäudes ist mit seinen vier Ebenen sehr klar. Diese werden durch je einen monumentalen Lichthof im Westen und Osten vertikal durchzogen und gegliedert. Damit entstehen auf den Ebenen jeweils drei Quadranten für die Depoteinrichtung. Die in Nord-Südrichtung verlaufenden Gänge entlang der Lichthöfe ermöglichen einen Einblick in die darüber oder darunter liegenden Etagen. Damit eröffnet die Innenarchitektur ein faszinierendes Spiel von gleichzeitigem Ein- und Ausblick, Nähe und Distanz.
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Sinnvoll und schön
Bereits außen soll sichtbar werden,
was im Inneren zu sehen ist. So bietet das zentrale, vom Vorplatz
einsehbare Schauregal im Foyer einen eindrucksvollen Auftakt. Bei
der weißen Farbgebung der Depoteinrichtung ging es darum, die
Farben der Objekte zu berücksichtigen sowie einen Kontrast zur
Patina und dem Betongrau der Wände und des Bodens zu schaffen. Die
Einrichtung ist auf stetige Veränderung und Anpassung ausgelegt:
Die gesamten Regale können werkzeuglos verändert werden und eine
durchgängige Signaletik hilft den Mitarbeitern die Objekte schnell
aufzufinden. Das Schaudepot Ruhr Museum zeigt auf beeindruckende
Weise die drei Hauptaufgaben eines Museums: Sammeln, Bewahren und
Erforschen. Und es zeigt, fast nebenbei, auch wie sich ein Gebäude
sinnvoll und schön wiederverwenden lässt. -sh
Bautafel
Architektur: planinghaus architekten, Darmstadt; südstudio, Stuttgart (Ausstellungsarchitektur);
Projektbeteiligte: brandwerk solution (Brandschutz); Ingenieurbüro Wolf (Haustechnik); ZPP Ingenieure (Tragwerk)
Projektteam südstudio: Alexander Lang, Hannes Bierkämper
Bauherr/in: Ruhr Museum, Essen
Fertigstellung: 2021
Standort: Heinrich-Imig-Strasse 9, 45141 Essen
Bildnachweis: Brigida González, Stuttgart
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