Sanierung eines Mehrfamilienhauses in Chemnitz
Historisches Sichtmauerwerk außen wie innen
Der Ortsteil Sonnenberg in Chemnitz erlebte nach der Wende wie
so viele andere Städte in den östlichen Bundesländern einen starken
Rückgang der Einwohnerzahlen. Doch die Stadtverwaltung reagierte
auf den Leerstand, indem sie ungenutzten Wohnraum abtragen und die
Fläche in ein 2,5 ha großes Sport- und Freizeitareal umwandeln
ließ. In den letzten zehn Jahren kehrte sich die Entwicklung
allerdings um und das Quartier ist zu einem angesagten Viertel mit
steigenden Bevölkerungszahlen und herausgeputzter gründerzeitlicher
Blockrandbebauung geworden. Allein das Gebäude in der Gießerstraße
41 stand in all dieser Zeit, also fast dreißig Jahre lang, leer und
verfiel zusehends. Die Anstrengungen der Stadt, das in privatem
Besitz befindliche Objekt wiederzubeleben, scheiterten. Schließlich
konnte das Planungsduo Annette Fest und Christian Bodensteiner
gemeinsam mit dem Politologen Daniel Stroux das Haus durch eine
Zwangsversteigerung übernehmen und sie haben es unter dem Namen
Casa Rossa umfangreich saniert.
Gallerie
Das Vorhaben war allerdings kein einfaches: Das Dach war
undicht, die Holzdecken brachen ein und Farn wuchs im Gebäude.
Aufgrund des maroden Zustands war es zunächst erforderlich, die
Standsicherheit des viergeschossigen, unterkellerten Baus
wiederherzustellen und die Bausubstanz zu sichern. Die Architekten
tauschten die alten Holzdecken gegen Ziegel-Einhangdecken aus und
sicherten das Dach gegen Einsturz. Bei dieser Gelegenheit konnten
sie zugleich die Toiletten, welche bis dahin vom Podest im
Treppenhaus aus zugänglich waren, den Wohnungen zuordnen und deren
Decken auf das Niveau der Wohnungen anheben. Anschließend wurde das
Mauerwerk im Dachgeschoss komplett abgetragen und die Abbruchziegel
für den Aufbau neuer Wände genutzt. Durch die Änderung der
Dachflächengeometrie entstand zusätzlicher Wohnraum, der zu einer
Maisonette mit Dachterrasse ausgebaut wurde.
Themenwohnungen
Das Haus beherbergt heute insgesamt drei Lofts und zwei
Zweizimmerwohnungen sowie die bereits erwähnte Maisonette. Die
Wohneinheiten sind zwischen 46 und 168 Quadratmetern groß, wobei
die Raumhöhen bei den ursprünglichen drei Metern belassen wurden.
Jede Einheit bietet eine Besonderheit: So wurden beispielsweise in
der Wohnung Es war einmal im ersten Obergeschoss alle
erhaltenswerten und restaurierten Zimmertüren des Gebäudes
wiederverwendet. Der Loft im dritten Stock nennt sich Brick
Loft, weil der gesamte Wohnbereich im Sichtmauerwerk gehalten
ist. Die Ziegelwände wurden behutsam vom Putz befreit, fehlende
Steine ersetzt und alles hell lasiert. Insgesamt verwendeten die
Verantwortlichen einen Materialmix aus Ziegeln, Holz, Schwarzstahl
und Beton, wobei die Materialien immer erkennbar bleiben und nur
mit Lasur oder Öl behandelt wurden. So leben die Innenräume vom
Charakter der Materialien und von der minimalistischen Ästhetik
gleichermaßen wie vom Unperfekten des Bestands.
Durch und durch aus Ziegeln
Das Mauerwerk des Casa Rossa besteht aus Reichsformat-Ziegeln mit den Maßen 25 x 12 x 6,5 cm aus dem Jahr 1910. Die Ziegel sind hauptsächlich im Blockverband vermauert und bilden Wandstärken bis zu 64 cm aus. Um die Mauerwerkswand sowohl innen als auch außen als Sichtziegel belassen zu können, haben die Architekturschaffenden die bauphysikalische Schwachstelle des Fensteranschlusses durch gedämmte Faschen im Außenbereich und gedämmte Fensterzargen aus Holz im Innenbereich beseitigt. Sie ließen die Fassade neu verfugen, hydrophobieren und mit einer hellen mineralischen Lasur überziehen. Im Innen- und Außenbereich gibt die Abtragung des Putzes die bisher versteckten Spuren der Vergangenheit frei. Dieser respektvolle Umgang mit dem Bestand und das Sichtbarmachen der Zeitschichten zeichnen die Sanierung aus. Da die Architekten die Eigentümer und Vermieter des Wohnhauses bleiben, haben sie erfreulicherweise auch weiterhin Einfluss auf dessen Gestaltung. -sh
Bautafel
Architekten: bodensteiner fest Architekten BDA, München
Projektbeteiligte: Planungsbüro Taube, Chemnitz-Schönau (Objektüberwachung); Ingenieurbüro Trautvetter, Burgstädt (Tragwerksplanung); Ingenieurbüro Kundisch, Chemnitz (Bauphysik); Architekturbüro Preissler, Burgstädt (Brandschutz); Ingenieurbüro Brandschutz, Brand-Erbisdorf (PrüfSV Brandschutz)
Bauherrschaft: Bodensteiner Fest Stroux, München
Fertigstellung: 2020
Standort: Gießerstraße 41, 09130 Chemnitz
Bildnachweis: Steffen Spitzner, Gera / bodensteiner fest, München
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