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Neubau der Universität für Bodenkultur in Wien
Mensa, Hörsaal und drei Institute im nachhaltigen Türkenwirtgebäude
Jahrzehntelang war der studentische Kulturverein Tüwi im geschichtsträchtigen Türkenwirtgebäude, einem herrschaftlichen Gründerzeithaus, der Universität für Bodenkultur in Wien-Döbling ansässig. Das nördlich vom namengebenen Türkenschanzenpark gelegene Gebäude war jedoch derart baufällig, dass den Betreibern buchstäblich die Decke auf den Kopf fiel. Eine Instandsetzung des Altbaus wäre nicht mehr wirtschaftlich gewesen, weshalb der Bestand abgetragen wurde. Auch das diesernorts von dem Studierendenverein betriebene Beisl, eine österreichische Form der Gaststätte, musste somit weichen. Mehr als ein bloßer Ersatzbau ist das neue, weiterhin Türkenwirt genannte Gebäude. Der Neubau auf dem Campus bietet Räumlichkeiten für den Verein Tüwi und dessen selbst verwaltetes Lokal mit angeschlossenem Hofladen für biologisch angebautes Obst und Gemüse. Darüber hinaus beherbergt er einen Hörsaal für 400 Studierende sowie drei Institute inklusive diverser Lehrbereiche und einer Mineraliensammlung. Außerdem stehen den Studierenden eine Fahrradwerkstatt sowie Ladestationen für E-Bikes zur Verfügung.
Gallerie
Als Teil der Universität für Bodenkultur hat der Neubau selbstredend hohe Ansprüche an die Nachhaltigkeit zu erfüllen. Er sollte hinsichtlich Materialwahl, CO₂-Abdruck, Energieeffizienz, Haustechnik und Grünraum ein Leuchtturmprojekt werden. Den 2014 ausgeschriebenen, zweistufigen, EU-weiten Wettbewerb konnte das Büro Baumschlager Hutter klar für sich entscheiden. Ihr Entwurf überzeugte insbesondere dadurch, dass sie 46 Prozent der insgesamt 5.650 Quadratmeter großen Nutzfläche unter die Erdoberfläche verlegten, wodurch nur ein kleiner Teil des Baukörpers oberirdisch platziert wurde. Das hat unter anderem den Vorteil, dass die von Erdreich umgebenen Räume weniger Heiz- und Kühlenergie benötigen.
Licht und Grünraum
Zur Kreuzung Peter-Jordan-Straße und Dänenstraße im Südwesten tritt
der Neubau als dreigeschossiger Kopfbau in Erscheinung, dahinter
nimmt die Höhe sogar noch um ein Stockwerk ab. Nach Westen kragen
die oberen beide Geschosse stark aus, sodass sich eine überdachte
Vorzone ausbildet. Das niedrigere Volumen
springt außerdem deutlich aus der Flucht zurück. Hier führt eine
Treppe hinab in einen abgesenkten Hof, an dem das neue Tüwi-Beisl
und der Hofladen liegen. Durch diese Lösung entsteht zum einen ein
trotz Straßenlage geschützter Außenbereich, zum anderen fällt durch
die raumhohen Verglasungen Tageslicht in die eigentlich unterhalb
der Straßenebene liegenden Räume.
Holz und Wolle
Die Fassaden prägen vertikale Holzlamellen aus unbehandeltem
Lärchenholz aus nachhaltiger Forstwirtschaft, die das Gebäude je
nach Blickwinkel durchlässig bis kompakt-verschlossen erscheinen
lassen. Neben ihrer gestaltgebenden Rolle fungieren sie auch als
feststehender Sonnenschutz. Das Holz verleiht in Form breiter Tür-
und Fensterrahmen den sonst überwiegend schlicht weiß gehaltenen
Innenräumen optische Wärme. Auch die Bestuhlung der Mensa im
Erdgeschoss und des Hörsaals besteht aus Holz. Dieser verdankt
seine guten akustischen Eigenschaften den Wand- und Deckenbelägen
aus reiner Schafwolle.
Durchblicke und Ausblicke
Ein räumlich besonderes Erlebnis bietet sich im Bereich der
Essensausgabe: Die Decke ist hier verglast und gibt den Blick frei
auf ein Atrium, das als hängender Garten gestaltet wurde. In den
oberen Stockwerken sind die Institutsbüros rund um dieses Atrium
angeordnet. Sie alle bestechen durch raumhohe Fenster und rote
Linoleumböden, bei denen es sich ebenfalls um reine Naturprodukte
handelt.
Neben dem abgesenkten Hof gibt es für die Studierenden noch einen weiteren Außenbereich – allerdings in luftiger Höhe, auf dem Flachdach. Dort können sie in der Sonne sitzen, lernen und sogar Pflanzen ziehen. Sollte die Uni stark weiter wachsen, so wie es in den vergangenen Jahren der Fall war, kann das Gebäude dort potenziell aufgestockt und erweitert werden.
Erdwärme und Sonnenenergie
Das Energiekonzept basiert auf dem Zusammenspiel von
hochenergieeffizienter Gebäudehülle und Lüftungsanlage,
Betonkernaktivierung, Nutzung von Umweltenergie und Abwärme aus
Küchenbereichen sowie erneuerbarer Energieträger vor Ort. Der
Heizwärmebedarf von 10 kWh/m²a wird u.a. durch 14 Geothermiesonden
mit ca. 70 kW Leistung gedeckt, die sich in 125 Meter Tiefe
befinden. Sie versorgen sowohl die Wärmepumpe
als auch die Kältemaschine mit Wärmeenergie aus dem Erdreich.
Unterstützt werden die Erdpendelspeicher von einer 56 Quadratmeter großen Solarthermieanlage auf dem Dach. Die darüber gewonnene Wärmeenergie wird außerdem zur Warmwasserbereitung für die Küchen und Duschen verwendet. Ein vier Kubikmeter fassender Schichtladespeicher ermöglicht die sonnenstrahlungsunabhängige Bereitstellung der benötigten Energie. Darüber hinaus wird die Abwärme aus den Küchenbereichen genutzt. Die Verteilung der Wärme im Gebäude erfolgt über Niedertemperatur-Raumheizungen, dazu zählen die Fußbodenheizungen sowie die Betonkernaktivierung. Diese fungiert auch als thermischer Speicher. So können Bedarfsspitzen und Zeiten ohne Energiegewinnung aus der Sonne überbrückt werden. Der Solarthermieertrag von 20 MWh/a bzw. 4,2 kWh/m²a und der Photovoltaikertrag von 45 MWh/a bzw. 9,2 kWh/m²a decken achtzig Prozent des Wärmebedarfs.
Strom aus regenerativen Quellen erzeugt eine 322 Quadratmeter große Photovoltaikanlage auf dem Dach mit 53 kWp Spitzenlast. Der Ertrag von 45 MWh/a bzw. 9,2 kWh/m²a deckt 36 Prozent des Bedarfs.
Das Gebäude weist eine positive Primärenergiebilanz auf und erreicht damit Plusenergiestandard. Dafür wurde es mit dem ÖGNI-Zertifikat für Nachhaltiges Bauen in höchster Qualitätsstufe, Platin, ausgezeichnet.
Bautafel
Architektur: Baumschlager Hutter Partners, Dornbirn
Projektbeteiligte: Buschina & Partner ZT, Wien (Statik, Bauphysik); Pgg Blueberg Control, Bruck an der Mur; Rajek Barosch Landschaftsarchitektur, Wien (Landschaftsplanung); BOKU Arbeitsgruppe Ressourcenorientiertes Bauen, Wien (Nachhaltigkeitsberatung)
Bauherrschaft: Bundesimmobiliengesellschaft, Wien
Fertigstellung: 2018
Standort: Peter-Jordan-Straße 76, 1190 Wien, Österreich
Bildnachweis: Lukas Schaller, Wien; Baumschlager Hutter Partners, Dornbirn
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