Messenachbericht Cersaie 2017 - Teil I
Die Keramikbranche wird in den kommenden Jahren eine Revolution erleben, neue Digitaldruckverfahren eröffnen völlig ungeahnte Möglichkeiten und die industrielle Endlosproduktion wird die klassische Fertigung vollständig ersetzen, meint unser Autor Michael Spohr nach dem Besuch der diesjährigen Branchenleitmesse Cersaie, über deren Trends und Novitäten er im Folgenden berichtet.
Gallerie
Vorhang auf für Individualkeramik
Blaue Rosen sind schwer zu züchten und gelten deshalb als exklusive
Rarität. Der Glasmosaik-Hersteller Trend hat die modifizierte Blume
dementsprechend zum Leitmotiv seines Messestandes auf der
diesjährigen Cersaie in 2017 erkoren, auf dem er tatsächlich
Außergewöhnliches präsentierte: die rückseitig bedruckte Glasplatte
Infinity in Formaten von bis zu 300 x 140 cm. Die Platte ist
ab einem Stück bestellbar, aber auch im Rapport für eine komplette
Wand- oder Bodenabwicklung erhältlich. Das Design bestimmt der
Kunde, indem er ein beliebiges Bild, eine Grafik oder ein Muster
auswählt.
Ermöglicht der Fortschritt in der digitalen Drucktechnologie bei
Bildern auf Glas bereits seit längerem eine brillante Auflösung, so
eröffnet er nun auch bei Keramik völlig neue Möglichkeiten. Bisher galt
hier: Wer eine individualisierte Optik wünschte, musste bereit
sein, große Mengen abzunehmen, denn Fliesenchargen umfassen in der
Regel mehrere tausend Quadratmeter Material. Aufgrund der neuesten
Verfahren wie etwa der Acht-Farben-Gamma-XD-Druckerserie von Durst
ist der Weg zur Individualisierung im Fliesendesign geebnet. Gamma
XD kombiniert die modernste Inkjet-Technologie mit einer
einzigartigen Druckmaschine. Die Anlage kann bis zu 250 Bilder
(Einzelgrafiken/Designs) oder 17 Gigabyte Bilddaten pro Druckjob
verarbeiten und in Full HD mit 400 dpi Auflösung und hoher
Tiefenschärfe auf bzw. in die Keramikfliesen-Rohlinge
drucken.
Beginn eines neuen Fliesenzeitalters
Der zur Iris Ceramica-Gruppe gehörende Fliesenhersteller Graniti
Fiandre wartete auf der diesjährigen Cersaie mit als erstes
Unternehmen mit einer serienreifen Individualkeramik auf,
produziert mit der neuesten Digitaldruck-Technologie. Design
your slabs nennt das Unternehmen sein neues Konzept, bei dem
der Planer, Designer oder Anwender eine von ihm selbst entworfene
Feinsteinzeugfliese bestellen kann – auf Wunsch
sogar noch mit zusätzlicher Beschichtung wie etwa Silber oder Gold.
Ab einem Stück lassen sich die personalisierten Maximum-Platten von
Graniti Fiandre künftig ordern – vielleicht der Paukenschlag der
Veranstaltung.
Eine andere Variante der Individualisierung ist der Service von
WS Faenza, das Material in allen Details an den ganz persönlichen
Geschmack des Kunden anzupassen. Dabei können jeweils Formate,
Bordüren, Kantenformen und Oberflächen für eine
ganz persönliche Küchenarbeitsplatte, den eigenen Waschtisch oder
eine Theke ausgewählt werden.
Darüber hinaus sind maßgeschneiderte Produkte stets in Halle 22
der Bologneser Messe zu sehen: Traditionelle Handwerkskunst gepaart
mit künstlerischem Anspruch gebiert hier – fernab der industriellen
Massenfertigung – Jahr für Jahr außerordentliche Kostbarkeiten in
Kleinstauflage. Hinzu kommen in dieser Halle die ständig an Zahl
wachsenden Parkett- und Natursteinanbieter sowie
Glasmosaik-Hersteller und Lieferanten von Tapeten, Farben und
Metallbelägen. So zeigte etwa die italienische
Naturstein-Manufaktur Akros Le Acqueforti handgemachte
Marmorfliesen, die in Acqueforte-Technik, einem aus der Renaissance
stammenden Verfahren, gefertigt werden.
Auch den Naturstein-Anbieter TWS Materia Nel Tempo zieht es auf
die Cersaie und nicht auf die parallel stattfindende
Natursteinmesse Marmo+Mac, weil in Bologna mehr Architekten und
Projektentwickler anzutreffen sind. Gleiches gilt auch für den
Parkettanbieter Salis, der mit der Marke Officina 107 ein
Komplettkonzept aus aufeinander abgestimmten Komponenten wie
Parkett, Farben, Fliesen (Majoliken), Tapeten und Teppichen für
die Inneneinrichtung präsentierte.
XXL-Fliesen
Sie heißen Mega, Maximum, Maximus, Magnum, Maxfine, Ultra und
neuerdings auch Fire: Die dank kontinuierlicher
Fertigungstechnologien immer größer und dünner gewordenen
Riesenfliesen sind aus verschiedenen Gründen ein Segen für die
westlichen Hersteller. Wegen des hohen Automatisierungsgrades in
der Fertigung können diese Materialien in Fernost nicht günstiger
hergestellt werden. Zudem ist der Transport der Platten – neben der
Verarbeitung – immer noch deutlich heikler als bei Fliesen
traditionellen Formats. Lange Transportwege, verbunden mit starken
Erschütterungen stellen daher ein Risiko dar.
Da bei den Riesenformaten der Preisverfall – auch aus den o.g.
Gründen – noch nicht eingesetzt hat, erzielen die Anbieter gute
Margen mit den Produkten. Die Absatz- und Umsatzentwicklung der
Exporte vornehmlich italienischer und spanischer Hersteller auf dem
deutschen Markt befindet sich derzeit ohnehin auf Rekordfahrt; hier
trüben lediglich der Preisdruck auf die dickeren Terrassenplatten
und der – bedingt durch den eher verhaltenen deutschen
Renovierungsmarkt – schwächelnde Vertrieb von Standardfliesen mit
rektifizierten Kanten die Aussichten. Kein Wunder also, dass die
Hersteller einen Teil ihrer Gewinne in neue Fertigungsstraßen mit
Endlostechnologie investieren und zusätzlich zu den
margenträchtigen XXL-Fliesen im Hochpreis-Segment ihre „alten“
Anlagen für die Produktion preiswerter Objektware mit Presskante
auslasten – wegen des expansiven Wohnungsneubaus, wo für die
Akkordarbeitskolonnen rektifizierte und kalibrierte Fliesen eher
ungeeignet sind.
Im Rennen um die größte Keramikplatte hat die zu La Fabbrica
(dahinter steckt der italienisch-chinesische
Private-Equity-Investor Mandarin Capital Partners) gehörende Ava
Ceramica momentan die Nase vorn. Mit 324 x 163 cm ist deren
XXL-Platte einen Zentimeter breiter als die der neuen Atlas
Concorde-Serie Atlas Plan. Beide Riesenformate werden in der
neuen Trendstärke 12 mm gefertigt; diese Stärke hat sich für die
Verarbeitung der Platten in Küche und Bad als ideal
herauskristallisiert.
Die Palette der Fliesenstärken bei den Großformaten reicht heute
von 3 (Porzellankeramik) über 6, 7 und 12 bis zu 20 Millimetern.
Bei den Längen- und Breitenabmessungen ist der Trend uneinheitlich.
Während einige Hersteller wie Fondovalle oder Atlas Concorde ihre
Maximalformate von 240 x 120 cm auf 320 x 160 cm bzw. 324 x 162 cm
ausgeweitet haben, beschränken sich andere Anbieter bewusst auf die
kleineren und leichter zu handelnden Formate wie beispielsweise 250
x 120 cm (u. a. WS Faenza, Settecento und Gigacer). Die
Fincebec-Gruppe steigt bei ihren Marken Monocibec, Naxos und
Century sowohl mit dem Extremformat 320 x 160 cm (in 12 mm) als
auch mit dem etwas moderateren 240 x 120 cm (in 7 mm) ein, um auf
allen Märkten mitzuspielen. Und die arabische RAK etwa bietet drei
Großformate in unterschiedlichen Stärken an: 305 x 135 cm in 14,5
mm Stärke, 240 x 120 cm in 10,5 mm und 260 x 120 cm in 6 mm.
Überhaupt gibt es seit diesem Jahr keine der größeren
Fliesenhersteller-Gruppen mehr, die nicht mindestens über eine
Fliesenserie im XXL-Format verfügt. Als letztes nachgezogen haben
in 2017 neben der Fincibec-Gruppe die Imola-Gruppe, Marazzi, Roca
und Coem / Fioranese. Und schließlich hat Gigacer mit der Marke
Workshop Faenza (kurz WS Faenza) eine neue Firma mit vollmassigen
Feinsteinzeug-Platten in Naturstein- und Metall-Optiken ins Rennen
geschickt. Angeboten werden die Formate 250×120 cm und 120×120 cm
in den Stärken 6 mm und 12 mm.
Ohnehin zeichnet sich bereits heute ein Ende der klassischen
Fliesenfertigung mit dem Pressen einzelner Formate zugunsten der
industriellen Endlosfertigung am Band ab. Die jeweils benötigten –
verschnittoptimierten – Formate werden dann anschließend aus den
großen Platten geschnitten. Bereits Ende 2017 werden mehr als ein
Viertel aller Fliesen weltweit auf den Endlos-Produktionsstraßen
der Hersteller Sacmi, System und Breton gefertigt werden.
Terrazzo ist der neue Marmor
Augenfällig war in diesem Jahr auf der Cersaie, dass die Zeit
der Vormachtstellung von Holznachbildungen sich offenbar ihrem Ende
zuneigt. Neue Holzoptiken waren seit Jahren erstmals deutlich
weniger zu sehen. Und auch die kühlen Betonanmutungen standen
weniger im Fokus als noch im Vorjahr. Naturstein-Interpretationen
hingegen liegen nach wie vor im Trend. Und auch die im letzten Jahr
in neuem Glanz erstrahlten Textiltexturen erfreuten sich großer
Beliebtheit. Als Neuheit sind in 2017 jedoch mit Macht
Terrazzooptiken hinzugekommen.
Die Modezeitschrift Elle schrieb hierzu schon im April, unter
dem Eindruck des diesjährigen Mailänder Salone del Mobile:
„Jahrelang waren wir in weißen oder schwarzen Marmor verliebt.
Jetzt wird der Interior-Hype abgelöst, denn Terrazzo ist
wieder voll im Trend“. Vorreiter des Trends sei die von Regisseur
Wes Anderson für Pradas Kunstmuseum in Mailand eingerichtete Bar
Luce mit ihrem rosafarbenen Terrazzoboden gewesen.
Terrazzo-Interpretationen kamen auf der Cersaie fast
zwangsläufig als Großformate daher, lieben doch Planer weltweit am
Terrazzo die Fugenfreiheit. Platten in entsprechender Optik fanden
sich beispielsweise bei der Artwork-Kollektion von Casamood
(Casa dolce Casa), bei der Serie Terrazzo aus dem Hause Coem
– hier nur bis maximal 120 x 60 cm groß und wahlweise in einer
groben oder einer feinen Körnung – oder auch bei Marazzi:
Mystone Ceppo di Gré heißt hier die neue Kollektion, die dem
gleichnamigen graublauen Sedimentgestein mit groben
Gerölleinschlüssen nachempfunden ist, das am Iseo-See abgebaut wird
und Bauwerke in Mailand wie in der Lombardei ziert. Größtes Format
ist hier 150 x 75 cm. Und schließlich findet sich auch unter den
Messeneuheiten der Deutschen Steinzeug eine von Terrazzoböden – in
diesem Fall denen der venezianischen Paläste – inspirierte neue
Universalserie: Besonderer Hingucker der modular (von 5 x 5 bis 60
x 120 cm) aufgebauten Feinsteinzeug-Kollektion Nova von
Agrob Buchtal ist die Farbe Anthrazit-Bunt, die an Konfetti
erinnert. Hervorzuheben ist hierbei noch die Treppenfliese der
Serie in den bemerkenswerten Abmessungen 35 x 135 cm und mit sanft
abgerundeter, im jeweiligen Fliesendesign dekorierter
Vorderkante.
Marmorfakes in Vollendung
Die Oberhoheit indes hatten auch in diesem Jahr wieder die
Marmorrepliken. Hier hat sich am Trend wenig geändert; wegen der
noch weiter verbesserten Druckverfahren trauen sich die Hersteller
lediglich immer häufiger an die Nachbildung von Steinen in
dunkelgrauen und schwarzen Farben heran; diese waren bis vor einem
Jahr noch leicht wolkig und weniger brillant. Wer ganz genau
hinschaut, kann auch immer noch Unterschiede zwischen den
Materialien der einzelnen Unternehmen feststellen – insbesondere
bei der Oberflächenqualität der auf Hochglanz polierten Platten
trennt sich die Spreu vom Weizen. Und auch dem ganz aktuellen
Naturstein-Trend nach seidenglänzenden Oberflächen kommen die
Fliesenhersteller bereits nach. Hier hatten sich die Anbieter der
natürlichen Vorbilder noch sicher vor der keramischen Konkurrenz
gefühlt – können Sie mit Ihren Flächenschleif-Maschinen dank der
Diamant-Bürstentechnik doch nahezu jede Oberfläche auf Naturstein
realisieren. Interessanterweise ist es den Fliesenherstellern jetzt
aber auch gelungen, bereits polierte Platten anschließend mit
Bürsten auf Flächenschleif-Anlagen weiter zu satinieren, ohne dass
die Sinterschicht des Materials durchdrungen wird (was die Platten
aufgrund sich öffnender Hohlräume, sogenannter Kavernen,
empfindlich machen würde). Neben der omnipräsenten Marmoroptik
fanden sich übrigens ebenso wie im Vorjahr Interpretationen von
Onyxen, Travertinen, Kalksteinen und Graniten auf den
Cersaie-Ständen.
So allgegenwärtig waren auch in diesem Jahr wieder die Natursteinimitate, dass sich Pibamarmi, einer der Echtstein-Anbieter auf der Keramikmesse, veranlasst fühlte, seinen Cersaie-Messestand unter das Motto Stop Fake – Choose Natural zu stellen. Um den Kunden diese Entscheidung zu erleichtern, führte Pibamarmi mit Acidshield eine Oberflächen-Vergütung seiner Natursteine ein, die unsichtbar vor Säuren, Flecken und Kratzern schützen soll.