Stasi-Unterlagen-Archiv in Chemnitz
Robotron-Halle in grünem Wellblechkleid
17 Millionen Menschen unter Generalverdacht: Bis 1989 hatte das Ministerium für Staatssicherheit der DDR – kurz Stasi – insgesamt 111 Kilometer Akten angelegt. Mehr als sieben davon hatten sich im ehemaligen Bezirk Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz, angesammelt. Diese Hinterlassenschaft, inklusive 2,3 Millionen Karteikarten, 71.000 Fotos und 200 Tonträgern, sind seit 2022 im örtlichen Stasi-Unterlagen-Archiv untergebracht, das Heine Mildner Architekten geplant haben.
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Statt eines Neubaus wurde für diese Bundesarchiv-Außenstelle ein leerstehender DDR-Systembau im historisch gewachsenen, innenstadtnahen Industriequartier Altchemnitz reaktiviert. Dabei handelt es sich um das ältere von zwei benachbarten früheren Rechenzentren. Zum Standort gehörten auch zwei unterschiedlich große Büroriegel sowie ein städtebaulich wirksam platziertes Sozialgebäude, das heute eine Tanzschule beherbergt.
Umgeben von Industriegeschichte
Das rund 30.000 Quadratmeter große Areal mit den beiden Flachbauten von je rund 80 x 45 Metern Grundfläche liegt an einer südlichen Ausfallstraße entlang des Chemnitzflusses. An zwei Seiten wird das Gelände durch monumentale Rotklinkerbauten flankiert: Im Nordosten bildet die Maschinenfabrik Schubert & Salzer – als Wirkbau mit seinem expressionistischen Uhrturm von Erich Basarke auch überregional bekannt – eine geschlossene Raumkante. Südöstlich begrenzt die vier- bis fünfgeschossigen Strumpffabrik Peretz den Straßenblock. Hier ist seit 2013 das Staatsarchiv Chemnitz angesiedelt.
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Mit einer neuen, auffallend grünen Hülle behauptet sich das transformierte Gebäude zwischen den DDR-Bauten und der Fabrikarchitektur. Eine bauzeitliche Waschbetoneinfassung wurde als Träger der schwarzen Bundesarchiv-Tafel genutzt und markiert so zusammen mit einem Ahornbaum den Zugang an der Südostecke. Von hier führt eine flache Betonrampe an der Ostseite entlang bis zum neuen, facettierten Eingangsportal. Ein vierzehn Meter weit auskragendes Vordach bietet Schutz und weist zugleich den Weg ins benachbarte Staatsarchiv, dessen Veranstaltungsräume durch das Stasi-Unterlagen-Archiv mitgenutzt werden.
Vom Daten- zum Aktenspeicher
Zwar waren nahezu keine Bestandsunterlagen vorhanden, dafür erwies sich das online zugängliche Spezialarchiv Bauen in der DDR des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) als ergiebige Quelle. Der zweigeschossige Bau wurde in den 1960er-Jahren aus standardisierten Betonfertigteilelementen zusammengesetzt und war vergleichsweise gut für die neue Nutzung geeignet. Dennoch musste er entkernt und durch umfangreiche Rohbauarbeiten angepasst werden.
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Im inneren, etwas höheren Bereich der doppelgeschossigen Halle waren ursprünglich auf rund 20 x 55 Metern Großrechner des Kombinats Robotron untergebracht. Sie übernahmen Rechenleistungen für andere Betriebe sowie für Teile der Bezirksverwaltung. Der abgeschirmte Kern dient nunmehr auf beiden Ebenen der Aufbewahrung des Archivgutes. Im Zuge des Umbaus wurde hier die Stahlbetonkonstruktion mit einer mittigen Stützenreihe, Pultdachbindern und Fertigteilkassetten freigelegt. Die Halle ist eingerahmt von einer Zone für Büros und Nebenräume, die an den Längsseiten acht bis neun Meter und an den Schmalseiten zwölf Meter tief ist. Hier platzierte man die Archivverwaltung. Rötlich-braune Bodenbeläge, Taubenblau für Wände und Türen sowie Gelb für Treppenhäuser und Archivregale schaffen eine ansprechende Atmosphäre.
Fassade: resedagrünes Gewand
Ursprünglich waren die mit Mauerwerk erstellten, nichttragenden Außenwände an Obergeschossbrüstung und Attika mit gelben glasfaserverstärkten Polyester-Wellplatten verkleidet. Diese sind heute noch bei dem angrenzenden Riegelbau, einem ehemaligen Wohnheim, zu sehen. An frühere Erscheinung lehnt sich die neue Hülle an, eine vorgehängte hinterlüftete Fassade (VHF) mit Aluminium-Unterkonstruktion, Mineralwolle-Dämmung und grünen Stahl-Wellblechen. Anders als früher, ziehen sich die Bleche nun aber über die gesamten Fassadenflächen, und sind an den Gebäudekanten leicht abgerundet.
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Die horizontale Schichtung der Blechbänder wurde zusätzlich betont: Von unten nach oben kragen sie insgesamt viermal übereinander vor, wodurch unter jedem Band ein dunkler Schatten verläuft. Mit dieser Staffelung reagierten die Architekt*innen auf den vorhandenen Fassadenvorsprung im Obergeschoss und unterstrichen die flache, horizontale Gebäudeausbildung. Das Grün der Hülle (Farbton RAL 6011, Resedagrün) kombinierten sie mit dezenten, golden eloxierten Aluminiumfenstern, die sich mit sattgelben Ausstellmarkisen verschatten lassen.
Die Konversion des ehemaligen Datenverarbeitungszentrums, dessen Graue Energie maßgeblich erhalten blieb, wurde mit dem Sächsischen Staatspreis für Baukultur 2024 ausgezeichnet.
Bautafel
Architektur: Heine Mildner Architekten, Dresden (Umbau 2022)
Projektbeteiligte: Lydia Heine, Diana Lindenau, Thorsten Mildner, Stefan Schmidt (Projektteam Architekturbüro), Kaiser Baucontrol Ingenieurgesellschaft, Dresden (Bauingenieurwesen, Projektsteuerung), Kröning und Schröter Ingenieurpartnerschaft, Dresden (Tragwerksplanung), INNIUS GTD, Dresden u.a. (TGA-Fachplanung), Ingenieurbüro Bauklimatik Uwe Meinhold, Dresden (Bauphysik, Energieplanung), Akustik Bureau Dresden (Akustikplanung)
Bauherr: FME Verwaltungsgesellschaft, Oelsnitz/Erzgebirge
Fertigstellung: 2022
Standort: Bruno-Salzer-Straße 5, 09120 Chemnitz
Bildnachweis: Till Schuster, Dresden, Marco Dziallas, Dresden (Fotos); Heine Mildner Architekten, Dresden (Pläne)
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