_Fassade
Stadtverwaltung in Venlo
200 Quadratmeter große Grünfassade und Curtain-Wall-System
Dass die niederländische Stadt Venlo nur gut eine halbe Stunde von Duisburg entfernt ist, dass sie auf eine Römersiedlung zurückgeht, im Mittelalter Hansestadt war und dass heute hier gut einhunderttausend Menschen leben – das weiß vielleicht nicht jeder auf Anhieb. Doch bald schon könnte die Kreisstadt an der Maas mehr in den Fokus rücken. Denn Venlo hat sich als erste Region weltweit dem Cradle-to-Cradle-Leitbild verpflichtet. C2C steht für ein ökoeffektives, nachhaltiges Wirtschaftsprinzip, bei dem biologische und technische Kreisläufe miteinander verschränkt werden. Symbolhaft verkörpert dieses Prinzip der Neubau für die Venloer Stadtverwaltung, geplant vom Rotterdamer Büro Kraaijvanger Architects.
Gallerie
Schon von Weitem präsentiert sich das elf Etagen hohe Stadskantoor als neue Landmarke in der Stadtsilhouette. Aus einem zweigeschossigem L-förmigen Grundriss wächst an der kurzen Seite eine Hochhausscheibe heraus. An deren Nordostansicht bildet eine markante Grünfassade einen Blickfang von der angrenzenden Schnellstraße und der parallel verlaufenden Bahntrasse aus, die den Neubau von der nahe gelegenen Altstadt trennen. In unregelmäßigem Raster sind raumhohe Grün- und Glasflächen angeordnet. Ebenso sporadisch setzt sich die Grünwand über die Gebäudeecken und teilweise auch in der zweigeschossigen Basis fort. Zur Prägnanz der städtebaulichen Figur trägt auch das sogenannte Gewächshaus bei, ein integrierter Glaskubus, der sich vom neunten bis zum elften Geschoss erstreckt. Letzteres ist ein Technikgeschoss, dass sich nach Süden hin durch raumhohe Solarpaneele vom restlichen Baukörper abhebt und unter anderem ein Regenwasserreservoir birgt. Weitere Solarpaneele sind großflächig auf dem Flachdach montiert.
Der Energiebedarf wird mit einem Mix aus Solarstrom, Abwärme-
bzw. Kältenutzung aus der dreigeschossigen Tiefgarage, Geothermie
und passiver Sonnenenergienutzung gedeckt. Das Gewächshaus dient
als Sonnenfalle. Ebenso der Sonnenschornstein, der das Gebäude um
zwei Geschosse überragt und durch die Thermik für eine natürliche
Luftzirkulation im Gebäude sorgt. Durch die gewählte Anordnung
umspannen der hohe Nordost- und der flache, parallel zum Maasufer
angeordnete Nordwestflügel einen halboffenen, begrünten Hof mit
integrierter Pflanzenkläranlage. Hier aufbereitetes Regenwasser
wird im Gebäude zum Spülen der WCs verwendet.
Im Inneren schaffen offene Grundrisse und Galerien mit Lufträumen
zahlreiche Blickbeziehungen. Die lineare Struktur heller
Holzlattung prägt die zentral angeordnete skulpturale Treppenanlage
und zum Teil auch die Deckenuntersichten. Die Kundenbereiche
konzentrieren sich auf das fast vollstädnig verglaste Erdgeschoss.
Im ersten Obergeschoss finden sich mehrere Besprechungs- und
Präsentationsräume. Bei den Arbeitsplätzen in den oberen Geschossen
sind offene Büroinseln und kompakte Individualbüros so kombiniert,
dass sich ausgehend vom großen, fast gebäudehohen Treppenauge die
fließende Raumlandschaft mit viel Tageslicht
durch jedes Geschoss zieht.
Green Walls im Inneren und Klimadecken sorgen für ein gesundes
Raumklima. Das Gebäude sowie zahlreiche Einrichtungsgegenstände
sind demontierbar; die zum Teil bereits aus Recyclingprozessen
stammenden Materialien sollen irgendwann wieder dem
Rohstoffkreislauf zugeführt werden. Die Bodenbeläge wurden
beispielsweise aus recycelten PET-Flaschen hergestellt. Die von
Rundstützen getragenen Betondecken sind als zweiachsige
Hohlkörperdecken mit dicht ins Bewehrungsnetz eingelegten
Plastikhohlkugeln im ausgebildet. Damit werden Material und Gewicht
gespart und die Tragwirkung gegenüber einer massiven Flachdecke
optimiert. Die Reduzierung der Zementproduktion und des
Betontransports – auch durch Beimengung von gebrochenem Altbeton –
mindert den CO2-Ausstoß. Holzlattung und Fensterrahmen bestehen aus
Kiefernholz, das mit Essigsäure haltbar gemacht worden ist und eine
einheimische Alternative zum Tropenholz bietet.
Fassade
Auch die unterschiedlich ausgebildeten
Fassaden symbolisieren die Verschränkung von biologischen und
technischen Kreisläufen. Die begrünte Nordostfassade zählt mit 200
Quadratmetern Fläche zu den derzeit größten ihrer Art. Versorgt
wird sie mit Regenwasser. Über 100 verschiedene Pflanzenarten
leisten einen Beitrag zur Biodiversität und zur Luftreinhaltung.
Die Fassadenbegrünung dient gleichzeitig als Thermospeicher und
verhindert ein schnelles Aufheizen oder Auskühlen des Gebäudes.
Die Grünfassade ist aus Paneelen zusammengesetzt. Ein Element ist 90 x 80 cm groß, besteht aus vier übereinander gestapelten und nach außen geneigten Pflanzkästen, die sich zu einem vertikalen Substratbehälter mit integrierter Bewässerung verbinden. Die im Schnitt sägezahnförmige Struktur wird von den Pflanzen überwuchert und ist bei dichtem Bewuchs nicht mehr sichtbar. Die Module sind auf senkrecht angeordnete Aluminium-T-Profile montiert, die auf die Tragschicht aufgeschraubt wurden. Diese besteht aus Brettsperrholzelementen, die Dämmschicht aus Flachswolle. In unregelmäßigem Abstand sind innerhalb der Grünflächen schmale, stehende Holzfenster angeordnet. Grün- und Glasflächen werden durch Aluminiumrahmen geometrisch klar voneinander getrennt.
Die Nordwestfassade, aufgebaut aus einem
Aluminium-Curtain-Wall-System, ist als Teil eines technischen
Kreislaufs konzipiert und soll ohne Qualitätsverlust
wiederverwertet werden können. Der horizontale, um 1,30 Meter
auskragende, äußere Sonnenschutz
besteht aus einer im Schnitt dreiecksförmigen,
aluminiumverkleideten Stahlkonsole. In deren abgeschrägte Oberseite
sind Photovoltaik-Elemente integriert. Innenseitig befindet sich
auf Höhe des Sonnenschutzes ein Lichtreflexionspaneel, an dessen
Unterseite ein Rollo als zweiter, beweglicher Sonnenschutz
integriert ist. Darüber ist ein liegender, nach innen kippbarer
Öffnungsflügel angeordnet. Die Brüstungsbereiche sind mit
Aluminiumtafeln verkleidet und – wie auch das Flachdach – mit
Polystyrol isoliert. Auch dieses Material ist zwar grundsätzlich
recycelbar, aber man hätte vielleicht bei dem ambitionierten
Gesamtvorhaben eine andere Detaillösung erwartet – ein kleiner
Wermutstropfen in einem insgesamt bemerkenswerten Projekt.
Bautafel
Architekten: Kraaijvanger Architects, Rotterdam
Projektmitarbeiter: Hans Goverde, Vincent van der Meulen, Bart van der Werf, Edward Timmermans, Jan-Hein Franken, Annemiek Bleumink, Anja Mueller, Hiroko Kawakami, Daniela Schelle, Remco Visser, Patrick Keijzer
Projektbeteiligte: Copijn Landscape Architects, Utrecht (Freiraumgestaltung), Laudy Construction and Development, Sittard (Konstruktion / Ingenieurplanung), TES Installatietechniek, Tilburg (Elektrik); Modulogreen, Carapinheira (Pflanzpaneele)
Bauherr: Gemeinde Venlo
Fertigstellung: 2016
Standort: Hanzeplaats 1, 5912 Venlo, Niederlande
Bildnachweis: Ronald Tilleman, Rotterdam / Stijn Poelstra
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