Roskilde Festival Folk High School

Tageslichtkonzept für revitalisierte Industriehalle

Wurde 1971 das erste Roskilde-Festival auf der dänischen Insel Seeland noch von ein paar engagierten Gymnasiasten eher laienhaft organisiert, ist das Musikereignis heute international berühmt und wartet Jahr für Jahr mit Größen aus Rock und Pop für bis zu 130.000 Besucher auf. Der Ursprungsgedanke blieb dabei erhalten: Bis zu 30.000 freiwillige unbezahlte Helfer sorgen dafür, dass alle Einnahmen humanitären Zwecken gespendet werden können. Einen ebenfalls ehrenamtlichen Ansatz verfolgen die Danish Folk High Schools. Außerhalb des staatlichen Schulsystems treffen sich hier Lehrende und Lernende zu Workshops, um sich auf ganz unterschiedlichen Themengebieten weiterzubilden, und – ein Hauptziel der Bildungseinrichtung – „ihren Charakter zu formen”.

Von der ehemaligen Produktionshalle war vor dem Umbau nur das Stahlbetonskelett erhalten. Um zeitgemäßen Anforderungen an den Wärme- und Schallschutz zu genügen, wurden die Felder zwischen den Stützen mit gedämmten Betonsandwich-Elementen oder hochisolierten Aluminium-Glas-Fassaden geschlossen.
Durch den rauen Sichtbeton in Kombination mit viel Glas und eine farbige Beleuchtung wird das ursprüngliche Erscheinungsbild neu belebt.
Zentraler Gemeinschaftsbereich mit hölzerner Sitztreppe.

Die privaten Schulen haben Ähnlichkeit mit den deutschen Volkshochschulen; allerdings wird in Dänemark kein anerkannter Abschluss angeboten. Eine weitere Besonderheit ist, dass Lehrende und Studierende über einen Zeitraum von vier bis sechs Monaten am Schulzentrum zusammenleben. Die Gründung der Volksschulen initiierte der Schriftsteller, Philosoph und Pastor Nikolaj Frederik Severin Grundtvig im frühen 19. Jahrhundert. Die Festival Folk High School in Roskilde soll die dem Musikfestival zugrundeliegenden Ideen mit der alternativen Lerninstitution zusammenführen. Realisiert wurde sie nach einem 2011 ausgelobten Wettbewerb durch eine Arbeitsgemeinschaft von MVRDV aus Rotterdam mit COBE Architekten aus Kopenhagen.

Farbige Boxen für eine Industrieruine aus Stahlbeton

Der Ort der Wettbewerbsaufgabe war alles andere als attraktiv: Von der heruntergekommenen ehemaligen Produktionshalle war nur das Skelett aus Stahlbetonstützen und -trägern geblieben. Es galt, die Industrieruine mit kulturellem Leben zu füllen: Für knapp 150 Personen sollten Unterrichtsräume, Werkstätten, Bühnen und Veranstaltungsflächen, Büros, Studios und ein Speisesaal entstehen.

Die Architekten besetzten die Halle auf zwei Etagen mit 16 Boxen, deren Größe und Farbigkeit variiert. Die lebendige Gestaltung des Box-in-Box-Systems ist an die Atmosphäre des Roskilde-Festivals angelehnt. So schufen die Planer einen starken Kontrast zwischen alt und neu in der acht Meter hohen Halle. Die Stahlbetonelemente behielten ihre rauen industriellen Oberflächen. Um zeitgemäße Anforderungen an den Wärme- und Schallschutz zu erfüllen, wurden die Felder zwischen den Stützen mit gedämmten Betonsandwich-Elementen oder hochisolierten Aluminium-Glas-Fassaden geschlossen. Auf diese Weise entstand eine schlichte Hülle, in der offene und geschlossene Flächen im Wechsel stehen. Der raue Sichtbeton, kombiniert mit viel Glas und farbiger Beleuchtung, belebt das ursprüngliche Erscheinungsbild neu.

Jede Box ein speziell genutzter Raum

Die einzelnen Boxen geben den Rahmen für die unterschiedlichen Nutzungen vor – mal sind es Werkstätten, mal Lehr-, mal Musikproberäume. Jede der Einheiten ließ sich hinsichtlich Raumbedarf, Licht und Schalldämmung an die spezifische Nutzung anpassen. Für die Innenflächen wurden gestrichene Gipskartonplatten, Holzfurnierplatten, Aluminiumplatten, Zinkaluminiumplatten, Holzlamellenplatten oder auch OSB-Platten verwendet.

Alle Räume sind entlang der Fassaden angeordnet, lediglich die Sanitäranlagen und weitere Nebenfunktionen befinden sich zentral in der Halle. Durch die Verteilung auf zwei Etagen entsteht ein zentraler offener Raum, zu dem sich alle orientieren. Herzstück ist eine breite hölzerne Treppe, die auch als Sitztribüne dient. Dieser große Gemeinschaftsbereich dient der Kommunikation, hier finden Vorträge, Aufführungen und Präsentationen statt.

Die Roskilde Festival Folk High School ist Teil eines Masterplans, um eine 3.000 Quadratmeter große ehemalige Zementfabrik in einen angenehmen Lernort zu verwandeln: das sogenannte Rockmagnet-Areal. Hierzu zählen auch Unterkünfte für Lehrer und Lehrerinnen, Studenten und Stundentinnen, das Ragnarock-Museum (siehe Surftipps) und der benachbarte Rabalder-Park.

Bauphysikalische Aspekte: Tageslichtsimulation für sämtliche Innenräume

Kern der Planung ist ein Tageslichtkonzept, das den strengen dänischen Vorschriften Rechnung trägt: Diese besagen, dass Arbeits- und Wohnräume nicht nur ausreichend mit Tageslicht versorgt sein, sondern auch über Fenster verfügen müssen, die den Blick in die Umgebung ermöglichen. Umfangreiche Tageslichtsimulationen im 3-D-Modell sollten sicherstellen, dass sämtliche Innenräume einschließlich der tief in die Halle vordringenden Boxen gut belichtet sind. Die Oberlichter in der Halle sollten dabei nicht zur Blendung führen, das wandernde Sonnenlicht dennoch eine interessante Atmosphäre schaffen. Den Architekten gelang es, die Vorschriften zu erfüllen und dabei ein ganz besonderes Raumerlebnis zu schaffen.

Bautafel

Architekten: MVRDV, Rotterdam und COBE, Kopenhagen
Projektbeteiligte:
Jacob van Rijs, Dan Stubbergaard (Projektleiter); LIW Planning and Kragh & Berglund, Kopenhagen (Landschaftsplanung); Norconsult, Sandvika (Tragwerksplanung); B. Nygaard Sørensen, Herlev (Generalunternehmer); Transsolar, Stuttgart (Nachhaltigkeit und Tageslicht); Alectia, Virum (Brandschutz); Gade & Mortensen, Charlottenlund (Akustik)
Bauherr:
Roskilde Festival Group, Roskilde
Fertigstellung:
2019
Standort:
Havsteensvej 11, 4000 Roskilde, Dänemark
Bildnachweis: Rasmus Hjortshøj – COAST, Kopenhagen; Ossip Van Duivenbode, Rotterdam; Transsolar Klima Engineering, Stuttgart

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