Konversion eines Silos zur Klinik in Düsseldorf

Neue Fenster und Ebenen in Betonröhren

Aus der Röhre gucken kann man im wahrsten Sinn des Wortes in dem umgebauten Silo einer Mühle am Düsseldorfer Hafen. Ingenhoven Associates haben das Industriedenkmal aus Stahlbeton unter anderem mit Fenstern versehen und Ebenen in die fast 30 Meter hohen Türme eingezogen. Die Räumlichkeiten nutzt nun eine radiologische und orthopädische Klinik.

Eine Besonderheit des Plange-Ensembles sind neben den monumentalen Backsteinbauten zehn Betonsilos.
Die vertikalen Röhren wurden als fast 30 Meter hohe Funktionsbauten mit einem Fassungsvermögen von etwa 12.000 m³ in einer damals innovativen Stahlbeton-Freischalung errichtet.
Im Jahr 2000 wurden die Betonröhren als Industriedenkmal unter Schutz gestellt (im Bild: historische Fotografie von etwa 1934. In der Mitte die Betonsilos, rechts das Backsteingebäude mit Holzsilos im Inneren).

Sei es in Hamburg, London, Kopenhagen, Lissabon, Amsterdam und vielen weiteren Städten – zahlreiche Hafengelände werden in europäischen Städten aufgrund des Strukturwandels nicht mehr als Industrie-, Logistik und Transportflächen benötigt und deshalb als Konversionsflächen klassifiziert. Diese Areale und die Gebäude darauf werden für eine nachhaltige zukünftige Nutzung analysiert und transformiert, um bestenfalls einer weiteren Zersiedelung und Minderung von natürlichem Grünraum entgegenzuwirken. Der Düsseldorfer Hafen, der in der Gründerzeit Ende des 19. Jahrhunderts als Erweiterung des Rheins als Binnenhafen angelegt wurde, erfährt seit den 1990er-Jahren eine Umwidmung und ehrgeizige Neuorganisation als Medienhafen. Ehemalige Lagergebäude sind seitdem zu Studios, Lofts, Büros und Kanzleien, zu Restaurants und Clubs umgebaut worden, bietet doch die urbane Lage an den Wasserbecken eine hohe Aufenthaltsqualität.

Architektonisches Vermächtnis und Mühlenareal auf einer Landzunge

Die Landzunge, auf der sich die ehemalige Plange Mühle befindet, wird seit den 2000er-Jahren von Christoph Ingenhoven und seinem Büro zu einem Plange Mühle Campus umgestaltet. Georg Plange, der aus Soest in Westfalen stammt, gilt als der Erfinder des Haushaltsmehls. Die Familie Plange war nicht nur betriebswirtschaftlich gut aufgestellt, sondern auch architektonisch interessiert. Für den Familiensitz in Soest beauftragte sie Bruno Paul, einen der einflussreichsten Architekten der frühen Moderne. Paul entwarf und baute eine Villa als Backsteinbau im Stil der neuen Sachlichkeit, die auch heute noch in ihrer subtilen Eleganz beeindruckt. Im Eingangsbereich der Villa wird der Namen des Patrons Georg Plange kunstvoll typographisch verfremdet als Supraporte präsentiert. Sogar Ludwig Mies van der Rohe zollte den Arbeiten Bruno Pauls hohen Respekt und studierte dessen Grundrisse sehr sorgfältig für seine eigenen Arbeiten.

Die Mühle im Düsseldorfer Hafen wurde 1906 in Betrieb genommen und bis in die 1950er-Jahre kontinuierlich erweitert um Verwaltungsbauten, Energiezentrale, Verladestation und Silos für das Getreide, ehe sie 1995 aufgegeben wurde und mehrere Jahre leer stand.

Stahlbetonröhren als fensterlose Türme

Eine Besonderheit des Plange-Ensembles sind neben den monumentalen Backsteinbauten zehn Betonsilos. Mit dem Entwurf wurden 1929 Karl Wach und Heinrich Rosskotten beauftragt, zwei Architekten, die als Vertreter des Neuen Bauens das Zusammenwirken von Funktion, Gestalt und Konstruktion neu definierten. Die vertikalen Röhren wurden als fast 30 Meter hohe Funktionsbauten mit einem Fassungsvermögen von etwa 12.000 m³ in einer damals innovativen Stahlbeton-Freischalung errichtet. Im Jahr 2000 wurden sie als Industriedenkmal unter Schutz gestellt. Eine Zwillingsgruppe von weiteren zehn Silos, die 1934 als Erweiterung errichtet wurde, existiert heute nicht mehr.

Jeweils zwei Silos sind als Paar gebündelt, die im Grundriss jeweils eine Art Doppelkreis bilden, wie die Ziffer 8. Dadurch entsteht eine Reihe von fünf Doppelröhren. Seitlich befindet sich ein orthogonaler Turm, der ursprünglich ein Treppenhaus und spezielle Aufzüge zum Hochtransport des Getreides beinhaltete und oben in einen horizontalen Aufsatz für die Transportbänder übergeht. Dieser Anbau ist wie eine Klammer für die Silos und ähnelt einem auf dem Kopf stehenden L. Es handelt sich somit um einen eng stehenden Cluster markanter, jedoch fensterloser Türme.

Technische Umbaulogistik

Seit der 1964 formulierten Charta von Venedig steht als Fakt, dass historische Gebäude und Denkmäler am besten erhalten und damit langfristet gerettet werden, wenn sie statt eines Leerstands eine sinnvolle Nutzung haben. Anpassungen und Änderungen von Struktur und Gestalt sind möglich, sollten jedoch sorgfältig durchdacht werden. Um demnach den Cluster aus opaken Türmen wieder nutzen zu können, galt es also einerseits in die hohen vertikalen Volumina Zwischendecken für Geschosse einzufügen und andererseits, in den Röhren Fensteröffnungen zur Belichtung mit Tageslicht zu schaffen. Ein Abbruch von Röhrenwänden zur Schaffung großflächiger Öffnungen war aufgrund des Denkmalschutzes nicht erlaubt, wohl aber ein Entfernen der Wandscheibenteile im Bereich der inneren Kopplungszwickel. Außerdem wurde seitens der Denkmalpflege ein Aufmachen der Deckel oben auf den Röhren gestattet. Die Umbauarbeiten konnten also ausschließlich von oben nach unten und innen durchgeführt werden – eine immense logistische wie technische Herausforderung.

Geschosse, Fensteröffnungen, Schatten

Neun der zehn Röhren sind nun in je sieben Geschosse unterteilt. Zur Belichtung und Belüftung dieser neu geschaffenen Etagen sind jeweils zwei nahezu quadratische Fenster in jede Röhre und jedes Geschoss geschnitten. Die neuen Fenster sind planeben. Sie passen sich nicht der Krümmung der Röhren an, imitieren diese also nicht, sondern sind gestalterisch als neue Elemente erkennbar markiert.

Profile aus Aluminium unterteilen die Fenster in drei Felder mit Festverglasung und Öffnungsflügel. Die Laibungen zeichnen sich außen als filigrane plastische Rahmen ab, deren Schattenwurf einen geometrischen Kontrast zur gekrümmten und hell verputzten Wand erzeugt. Der so entstehende visuelle Effekt ist rhythmisch spannend. Die geclusterten Röhren wirken wie eine vertikale Welle, die regelmässig eingeschnittenen Fenster dagegen wie Teile einer Faltung.

Nutzung, Mobiliar, Farbkonzept

Für die neu geschaffenen kreisrunden Räume fand sich eine Nutzung als radiologische und orthopädische Klinik mit Empfang, Operationsräumen und Bettenzimmern. Mobiliar, Beleuchtung, Wand- und Deckenverkleidungen sowie Farbkonzept sind der ungewöhnlichen Kubatur aus Kreis- und Doppelkreissegmenten angepasst – unter Einhaltung klinischer Standards und Erfordernisse. Beispielsweise zeichnet der Bodenbelag im Flur mittels eines Farb- und Materialwechsels die Konturen der ursprünglichen Silowände nach. Im Gegensatz zu den Farben im Inneren wurde bei der Fassade auf jegliche Farbspiele verzichtet. Alle Außenwände wurden lediglich mit einer 15 cm dicken Dämmputzschicht bauphysikalisch verbessert, doch diese wurde hell belassen.

Erschließung bis aufs Dach

Das zehnte Silo hat keine Fensteröffnungen bekommen und blieb als historische Referenz eine geschlossene Röhre. In diesen Turm wurden stattdessen eine Treppe und zwei Personen- sowie ein Bettenaufzug eingefügt. Da das umgebaute Silo-Cluster baurechtlich als Hochhaus eingestuft wurde, befindet sich eine Fluchttreppe im historischen Treppen- und Getreideaufzugsturm, der dafür komplett entkernt wurde. Der Aufsatzriegel wurde zu einem Attikageschoss umgebaut. Da Recherchen in den historischen Bauakten ergaben, dass hier ursprünglich bodentiefe Fenster geplant waren, wurden diese nun als Fenstertüren eingesetzt. Sie ermöglichen einen Zugang auf kreisrunde Dachterrassen, nämlich auf die damaligen Deckel der Silos, von denen sich ein weiter Blick auf den Hafen bietet. Als Brücke verknüpft dieser Riegel das Betonsilo mit dem benachbarten imposanten Backsteingebäude, das ursprünglich hölzerne Silos enthielt und bereits 2016 saniert und umgebaut wurde.

Bis 2025 soll auf der Landzunge noch ein Mobilitätsknotenpunkt mit Parkhaus und Fahrradstation sowie ein Pier mit mehreren Brücken entstehen, um den Medienhafen-Campus mit der Düsseldorfer Innenstadt zu verbinden. -sj

Bautafel

Architektur Umbau 2022: Ingenhoven Associates, Düsseldorf
Architektur
Bestand 1929: Karl Wach und Heinrich Rosskotten
Projektbeteiligte: Rischko Praxisarchitektur, Odenthal (Klinikplanung); Schüßler Plan, Düsseldorf (Tragwerksplanung); Walter Maier Ingenieure, Pulheim (Gebäudetechnik); Wissbau Beratende Ingenieursgesellschaft, Essen (Bauphysik); BPK Fire Safety Consultants, Düsseldorf (Brandschutz)
Bauherr/in: Harbour Properties, Düsseldorf
Standort:
Weizenmühlenstrasse, Plange Mühle 4, Düsseldorf
Bildnachweis: HGEsch über Ingenhoven Associates, Stadtarchiv Düsseldorf über Ingenhoven Associates

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