Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien
Integraler Planungsprozess vom ersten Entwurf bis zur Inbetriebnahme
Wo unter strengen Auflagen zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit über grundlegende biologische Vorgänge in Organismen geforscht wird, ist der gestalterische Spielraum in der Regel gering. Bei der Konzeption der Labore im Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien konzentrierten sich ATP architekten ingenieure daher auf die notwendige praktische Funktionalität. Um für die rund zweihundert hier tätigen Wissenschaftler möglichst ideale Arbeitsbedingungen zu schaffen, legten die Planer aber auch großen Wert auf ein angenehmes, kommunikatives Umfeld. Der Neubau für das IMP, das zuvor in einem Altbau untergebracht war, sollte zudem flexibel nutzbar und energetisch effizient konzipiert sein.
Gallerie
Die Architekten schufen einen teilweise gestaffelten, fünf- bis
siebengeschossigen Baukörper, der mit benachbarten
Forschungseinrichtungen des Vienna BioCenter durch eine
Brücke verbunden ist. In einem weiträumig-lichten Atrium treffen
nicht nur offene Arbeitsbereiche und nach Bedarf anpassbare
Laborzonen, sondern auch Aufenthaltszonen mit einladenden
Sitzgruppen und großzügige Erschließungszonen aufeinander, die
spontane Treffen befördern. Für die Mitarbeiter gibt es eine
Kantine, der Öffentlichkeit stehen ein Ausstellungsbereich, ein
Vortragssaal sowie eine Cafeteria im ersten Obergeschoss zur
Verfügung.
Einen Hinweis auf die Funktion des Gebäudes bietet die stringente Fassadengestaltung mit umlaufend vertikalen Streifen, die die Horizontale der Fensterbänder überlagern. Die weißen Markierungen in variierenden Breiten und Abständen nehmen Bezug auf die Banden von DNA, wie sie sich auf Gelblöcken bei einer klassischen Arbeitsmethode der Molekularbiologie darstellen. Nur an der Eingangsseite im Nordwesten bricht die Struktur der hellen Leisten großflächig auf: Dort öffnet sich die Fassade mit einer Glasfront über fünf Geschosse und lässt tiefe Einblicke ins Atrium als dem kommunikativen Herzstück des Forschungsinstitutes zu. Insgesamt 15.000 Quadratmeter umfasst das Gebäude im dritten Wiener Gemeindebezirk, das durch den Pharmakonzern Boehringer Ingelheim finanziert wurde. Mit den gegenüberliegenden Partnerinstituten ist es verbunden durch einen beidseitig verglasten Gang.
Die vertikale Gliederung der Fassade ermöglicht in den dahinterliegenden Räumen eine hohe Flexibilität. Auch der 4,60 Meter hohe, 14,00 x 20,00 Meter große Vortragssaal im Erdgeschoss ist für ganz unterschiedliche Veranstaltungen nutzbar. Innen sorgen Absorberelemente an den Wänden zusammen mit Teppichböden und Akustikdecken für eine gute Raumakustik; an der Außenseite befinden sich Sitznischen, die mit Kopfhörern ausgestattet sind, damit Interessierte auch dort mithören können. Labore, Geräteräume und Bürozonen sind auf die drei oberen Etagen verteilt. Auf den zum Atrium gerichteten Galerien und Auskragungen sind die informellen Treffpunkte für die Mitarbeiter locker verteilt; im dritten Stock steht ihnen eine Bibliothek mit Freihandbereich zur Verfügung. Viel Glas, weiße Wände und Decken dominieren die Räume, farbige Büro- und Sitzmöbel setzen Akzente. An einigen Stellen sind die Wände mit Eichenholz verkleidet.
Jede der inselartigen Laboreinheiten umfasst acht Arbeitsplätze, davon sieben Labor- und einen Geräteplatz. Die Module sind im Raster von 3,60 Metern aneinandergereiht. An den Fenstern dient eine 90 Zentimeter tiefe Arbeitsfläche der Dokumentation und Auswertung von Forschungsergebnissen. Im Dachgeschoss sind die Büros der Geschäftsleitung, die Administration, Seminar- und Besprechungsräume angeordnet, außerdem weitere Labore und eine Teeküche mit Zugang zur Dachterrasse. Die technische Ver- und Entsorgung, eine Sprinklerzentrale, die Notstromversorgung und der Serverraum, Garderoben und Waschräume, Lager und Archiv befinden sich im Untergeschoss.
Die technische Gebäudeausrüstung wird durch ein zentrales Leitsystem im Verbund mit benachbarten Gebäuden überwacht. Ein Computer Aided Facility Management System (CAFM) soll die Betriebsführung jetzt und in Zukunft erleichtern: Die Erfassung der modernen Heiz- und Kühlsysteme (quellluftführende Doppelböden in Kombination mit eingeputzten bzw. abgehängten Heiz-/Kühldecken, integrierte Fassadenheizung in Kombination mit Fußbodenheizung und -kühlung sowie Kühlwände/-decken in hochbelasteten Räumen) soll Veränderungen möglich machen. Ein Energiemonitoringsystem versetzt den Betreiber in die Lage, den Energieverbrauch eines bestimmten Bereiches live zu erfassen und sukzessive die Maßnahmen zu treffen, um ihn zu optimieren.
BIM
ATP architekten ingenieure planen seit mehr als
drei Jahrzehnten integral, d.h. Architekten, Tragwerksplaner und
Haustechniker arbeiten bei ihren Projekten von Anfang an eng
zusammen. Die BIM Planungsmethode wird eingesetzt, um den
Informationsverlust vom ersten Entwurfsgedanken bis zur
Inbetriebnahme und schließlich einem möglichen Rückbau – von der
Wiege bis zur Bahre – zu minimieren. Der Entwurfs- und
Planungsprozess vollzieht sich als eine integrale Annäherung aller
Beteiligten, die von Beginn an in Echtzeit an einem gemeinsamen
Modell zusammenarbeiten – so sind mögliche Kollisionen gering. Alle
Daten werden in ein gemeinsames 3D-Modell eingepflegt und somit
alle Auswirkungen von Änderungen unmittelbar dokumentiert und
simuliert.
Bereits der integrale Vorentwurf für das Forschungsinstitut in Wien vollzog sich weitgehend in Abstimmung mit dem Bauherrn, der als Entscheidungshilfe mit 3D-Brillen realitätsnahe Raumeindrücke vermittelt bekam. Die Planer entwickelten sämtliche Bauteile selbst; mit den Daten wurde nach und nach eine generische Plattform befüllt. Am Ende des Planungsprozesses ist nur ein Teil (ca. 15 bis 20 Prozent) der generierten Daten für den Betreiber relevant – das BIM-Modell lässt sich jedoch filtern bzw. füttern, um letztendlich alle für die Bewirtschaftung des Gebäudes notwendigen Informationen zu erhalten.
Die Anwendung von BIM erleichtert und optimiert die Planung eines derartig komplexen Gebäudes, das notwendigerweise klar strukturiert und gut kontrollierbar sein muss. So gab es beispielsweise bei den Innenräumen vier bis fünf Abstufungen hinsichtlich der Reinheit bzw. Nutzung der Öffentlichkeit. Auch in Bezug auf Nachhaltigkeit soll BIM große Vorteile mit sich bringen, weil sämtliche Prozesse von den ersten Entwürfen bis zur Betriebsphase erfasst und dadurch kontrollierbar werden. Aspekte der Nachhaltigkeit sind nicht nur hocheffiziente Systeme der technischen Gebäudeausrüstung, sondern auch der visuelle, thermische, akustische und olfaktorische Nutzerkomfort.
Bautafel
Integrale Planung: ATP architekten ingenieure, Wien
Projektbeteiligte: VPB Vernetzt Planen + Bauen, Wien (Begleitende Kontrolle Architektur); Koppenhöfer + Partner, Stuttgart (Beratender Ingenieur Architektur); Ingenieur-Beratung Jaeger, Stuttgart (Beratender Ingenieur HKLS); ATP sustain, Wien (Nachhaltigkeit)
Bauherr: Boehringer Ingelheim RCV, Wien
Fertigstellung: 2017
Standort: Campus-Vienna-Biocenter 1, 1030 Wien, Österreich
Bildnachweis: © ATP/Kuball und © ATP/Beck
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