Stadtbibliothek in Castellanza/I
Umnutzung eines Industriegebäudes
Das Städtchen Castellanza in der Lombardei befindet sich auf halbem Weg zwischen Mailand und "Lago maggiore" und ist Architekten vielleicht bekannt durch ein von Aldo Rossi geplantes Universitätsgebäude. Seit 2004 ist die Stadt um eine neue Architekturattraktion reicher. Das am Flüsschen Olona gelegene Industrieareal der Firma Tosi stand nach deren Stilllegung zur Disposition und bot der Stadt Castellanza die einmalige Möglichkeit in der Nähe ihres Zentrums ein Bürgerforum einzurichten. Das Hauptgebäude, ein einfaches zweigeschossiges Ziegelgebäude mit Flachdach, stand seit mehr als dreißig Jahren leer. Ursprünglich hatte es einmal als Bleichhalle gedient. Seit etwa zehn Jahren stand fest, dass es in die Stadtentwicklungszone entlang des linken Flussufers eingegliedert werden sollte. Das Gebäude sollte zum einen die städtische Bibliothek und zum anderen Ausstellungs- und Konferenzräume beherbergen. Die Umnutzung wurde im Rahmen eines Wettbewerbs, den das Mailänder Büro DAP Studio gewann, 2001 in Angriff genommen.
Gallerie
Eines der wichtigsten Ziele des Entwurfs bestand darin, ein Scharnier zwischen Stadtzentrum und den städtischen Revitalisierungsflächen am jenseitigem Flußufer zu schaffen. Mit diesem wichtigen "Baustein" sollte zugleich eine bessere stadträumliche Einbeziehung des nahe gelegenen Universitäts-Campus LIUC und der kommunalen Klinik geschaffen werden, die bisher ohne direkten fußläufigen Bezug zur Innenstadt waren. Die Stadtbibliothek stellt selbst ein kleines Stadtzentrum für die Kleinstadt dar.
Modernisierung/Sanierung
Die heterogene Nutzung des Gebäudes wurde strikt auf die zwei
bestehenden Ebenen verteilt: unten die Versammlungs- und
Ausstellungsfläche, im Obergeschoss die Bibliothek. Im Erdgeschoss
werden die Bürger an einer Informationstheke empfangen. Daneben
befinden sich eine Bar und kleinere Läden sowie der große
Multifunktionssaal, der sowohl für Veranstaltungen als auch für
Ausstellungen dient. Das Entwurfskonzept der darüber liegenden
Bibilothek basiert darauf, dass die neuen Nutzungen wie Container
in die offen fließenden Räume eingestellt wurden, um den ehemals
großzügigen Raumeindruck weitgehend zu erhalten. Im Widerspruch zum
rigiden Massivbau des Altbestands wurden die neuen Einbauten
gewissermaßen "entmaterialisiert". Mit viel Glas und wenigen
raumtrennenden Wänden wurde versucht, diesen theoretischen Anspruch
auch möglichst wirksam in die Realität umzusetzen.
Die neuen Raumelemente fungieren deshalb in beiden Geschossen als
nicht-statuarische "Inseln", die die unterschiedlichsten Nutzungen
wie Informationstheke, Lesesäle, Mediencounter, Garderoben und
Sanitärbereiche aufnehmen.
Die charakteristischen Kennzeichen eines Industriegebäudes jener Zeit wurden beibehalten: Sichtziegel und Flachdach. Die Ziegel wurden ebenso wie die erhaltenswerten Betonbauelemente (Traufgesimse und Fensterstürze) sandgestrahlt oder gewaschen. Die neuen Fassadenzutaten stülpen sich über diese Außenhaut ohne deren Besonderheiten zu verwässern. Die ehemaligen Stahlfensterprofile wurden durch beinahe ebenso schlanke Querschnitte aus Aluminium ersetzt, wobei die originalen Fenster bereits früher ausgetauscht worden waren. Währenddessen wünschte der Stadtrat, dass mit der Umnutzung des Fabrikgebäudes auch eine Mediengalerie geplant werden sollte. Diese Schwerpunktsverlagerung hatte auch Einfluss auf die architektonische Gestaltung. Die neuen Fensteröffnungen verstehen sich demnach als Projektions-Bildschirme, welche in Wort und Bild auf das wechselnde Angebot von Ausstellungen, Veranstaltungen oder ähnlichen kulturelle Ereignissen hinweisen.
LED-Leuchten bieten nachts ein ständig wechselndes Lichtspiel,
das die Attraktivität des Gebäudes erhöhen soll. Die Fassade dient
zum einen also als kommunales Interaktionsforum und macht zum
anderen auf die multimedialen Angebote, die die Bibliothek
offeriert aufmerksam. In diesen "digitalen Schaufenstern" werden
den Bürgern, ob Passanten oder Interessenten, Informationen zu
neuen Büchern, Zeitschriften, Schallplatten, CDs und Videos
angeboten. Vor allem Jugendliche, die im allgemeinen Bibliotheken
eher meiden, sollen dadurch geködert werden. Demzufolge wurde der
historische "Karteikasten" als Datenterminal mit mehreren
Computerbildschirmen in einem "Tunnel" ausgebildet und aus
Polycarbonat-Bauteilen gegossen. Die übrigen Bereiche wie
Information, Studiensaal, Zeitschriftensaal, Antiquariat,
Kinderbibliothek und offene und geschlossene Archive wurden streng
zentralisiert angeordnet, um eine leichte Übersichtlichkeit zu
gewährleisten. Auch die Materialwahl der neuen
Einbauten steht in klarem Kontrast zu den Altbaurelikten aus
Ziegelstein oder Beton: Emaille oder gefärbtes Glas, Kunststoff und
anthrazit gefärbte MDF-Platten.
Bautafel
Architekten: DAP Studio Mailand/Italien
Projektbeteiligte: Paolo Danelli, Elena Sacco (Projektleitung); Fabrizio Pusateri, Silvia Dall’Olio (Mitarbeiter); Angelo Rocchi (Bauleitung); Cesare Carnelli (Tragwerksplanung); Luciano Cancellerini (Haustechnik); Maurizio Quargnale, (Beleuchtung)
Bauherr: Stadt Castellanza/Italien
Fertigstellung: April 2004
Standort: Piazza Castegnate, 2 bis ; Castellanza (VA)
Bildnachweis: Archiv der Architekten