Vierfach-Isolierglas – Aufwand, Nutzen, Risiken
Warum vier Glasscheiben nicht automatisch besser sind als drei
Gallerie
War Dreifach-Isolierglas noch vor ein paar Jahren ein selten
verwendetes Nischenprodukt, ist es heute bei den meisten Neubauten
Standard. Und das zurecht, schließlich wissen selbst die meisten
Endverbraucher, dass Dreifach-Isolierglas „besser“ ist als
Zweifach-Isolierglas. Der logische Schluss wäre also, dass
Vierfach-Isolierglas auch besser ist als Dreifach-Glas. Aber mit
dem Attribut „besser“ wird fast immer und ausschließlich ein noch
niedrigerer Ug-Wert verstanden. Dass aber das System
„Vierfach-Glas“ sowohl mechanisch, thermisch und wirtschaftlich als
auch unter Berücksichtigung der Lebensdauer, der
Gesamtenergiebilanz und der zunehmenden Komplexität solcher Systeme
umfassender betrachtet werden muss, erläutert Ralf Vornholt von der
Firma Saint-Gobain Glass in diesem Beitrag.
Ug- Wert Betrachtung
Welche (U-)Werte können wirtschaftlich erreicht werden?
„Wirtschaftlich“ bedeutet in diesem Zusammenhang eine übliche
Fertigungstiefe mit technisch sinnvollen Scheibenzwischenräumen.
Kryptonfüllungen sind wegen der hohen Kosten für die Gasfüllung
durchaus schon grenzwertig. Auf exotischere Füllgase, mit denen man
zwar einen „Rekord-U-Wert“ erreichen kann, wie z.B. Xenon, wird
hier bewusst verzichtet. Denn: Dieses Gas ist nur schwer verfügbar
und sehr teuer. In den Mengen, die für eine industrielle Fertigung
nötig wären, ist es weder unter wirtschaftlichen, noch unter
Nachhaltigkeitsgesichtspunkten eine sinnvolle Option.
Tabelle 1: Darstellung typischer Ug-Werte (größere Abbildung der
Tabellen in der Bildergalerie)
Einbaudicke/Gewicht
Hier werden nur die Standardaufbauten betrachtet. Zusätzliche
Anforderungen wie statische Bemessung, Schallschutz und Einbruchschutz
sind nicht aufgeführt.
Tabelle 2: Standardaufbauten
Mechanik/Statik/Bemessung
Ein Zweifach-Isolierglas ist in seinem mechanischen Verhalten
bezüglich der Wind- und Klimalasten noch überschaubar. Zudem stehen
bewährte, anerkannte Modelle des physikalischen Verhaltens zur
Verfügung, die ihren Weg in die amtlichen Bemessungsvorgaben wie
die DIN 18008, die unter anderem die altbewährte TRLV abgelöst
hat, gefunden haben. Mit jedem zusätzlichen Scheibenzwischenraum muss man sich allerdings die
Frage stellen, ob das Modell für Zweifach-Isolierglas noch
ausreicht. Warum die Frage berechtigt ist, zeigt ein Vergleich der
thermischen Belastungen von Zweifach-, Dreifach- und
Vierfach-Isoliergläsern.
Berechnungen nach DIN EN 13363-2
Thermisch-mechanische Eigenschaften
Als Beispiel werden hier Standardaufbauten und übliche Größen
betrachtet. Kann man bei Dreifach- Isoliergläsern noch annehmen,
dass die beiden Scheibenzwischenräume in etwa die gleichen
Temperaturen aufweisen, so muss man dies bei Vierfach-Isolierglas
offensichtlich überdenken. Während bei Dreifach Isoliergläsern
angenommen werden kann, dass bei gleicher Biegesteifigkeit der
äußeren Scheiben die Scheibenzwischenräume den gleichen isochoren
Druck (Klimalast) haben (was bedeutet, dass die mittlere Scheibe,
was die Druckbelastung angeht, praktisch lastfrei ist), kann man
diese Aussage bei Vierfach-Gläsern aufgrund der hohen
Temperaturunterschiede zwischen den inneren und äußeren Scheiben
nicht mehr ohne Weiteres guten Gewissens treffen. Das bedeutet:
Allein schon aus thermischen Gründen müssen die mittleren Scheiben
des hier beispielhaft untersuchten Vierfach-Isolierglases thermisch
vorgespannt werden (ESG-H).
Statische Berechnung/Bemessung
Die statische Berechnung wurde für Zweifach-Isolierglas entwickelt
und hat sich bewährt. Durch die ähnlichen isochoren Drücke in den
Scheibenzwischenräumen von Dreifach-Isoliergläsern kann man diese
auch noch hinreichend und sicher statisch bemessen. Für
Vierfach-Isoliergläser ist dieses Modell so nicht übertragbar.
Unterschiedliche Temperaturen in den drei Scheibenzwischenräumen
erzeugen auch unterschiedliche isochore Drücke. Damit bleiben bei
Vierfach-Isolierglasscheiben, auch bei gleicher Biegesteifigkeit
der Außenscheiben, die inneren Scheiben im Gegensatz zu
Dreifach-Isolierglas nicht mehr lastfrei. Verifizierte und
geeignete Rechenmodelle stehen dafür aber zurzeit (noch) nicht zur
Verfügung.
Um einen solchen Aufbau zu simulieren, wurden im nachfolgenden
Beispiel die Vierfach-Isoliergläser als Dreifach-Gläser mit
entsprechend großem Scheibenzwischenraum angesetzt. Statt eines
Aufbaus von 4-12Ar-4-12Ar-4-12Ar-4 wurde ein Dreifach-Isolierglas
mit dem Ersatzaufbau 4-18Ar-4-18Ar-4 berechnet. Es ist davon
auszugehen, dass die Ergebnisse der vorliegenden Berechnung
geringere Spannungsüberschreitungen als real ausweisen.
Tabelle 3: Rahmenbedingungen der statischen Berechnungen nach
DIN 18008-2
Standardwerte:
Windlast: Druck 0,46 kN/m², Sog -0,65 kN/m²
Ortshöhen: Lastfall höher 7,2 kN/m², Lastfall tiefer -3,6 kN/m²
Klimalast: Sommer 8,87 kN/m², Winter -12,5
kN/m²
Zur Simulation der Vierfach-Isoliergläser wurde aufgrund der drei
Low-E-beschichteten Scheiben eine erhöhte Absorption
gemäß DIN 18008-2 angenommen.
Aufgrund des thermomechanischen Verhaltens müssen
Vierfach-Isoliergläser für Fenster und Fenstertüren bereits in
üblichen Abmessungen als Einscheiben-Sicherheitsglas ESG ausgeführt
werden. Ebenso, wie es keine verifizierten Berechnungsmodelle für
die Glasdimensionierung gibt, gibt es keine Erfahrungen und
Erkenntnisse über die Beanspruchung und die Dauerhaftigkeit des
Randverbundes. Wegen des hier beschriebenen Verhaltens muss man
allerdings davon ausgehen, dass die Belastung des Randverbundes
sehr hoch ist. Dies hat also mit hoher Wahrscheinlichkeit einen
deutlichen Einfluss auf die Lebensdauer des Isolierglases. Das
heißt: Von einer verkürzten Lebensdauer eines
Vierfach-Isolierglases im Vergleich zu Zweifach- und Dreifach
Isoliergläsern ist daher auszugehen.
Energieeinsparung/Energieeffizienz
Die Darstellung von Energieeinsparung und Effizienz ist nicht so
einfach und griffig wie die der Wärmedämmung. Ein Beispiel: Wenn es
kalt ist, zieht man sich einen Pullover an, man dämmt also seine
ganz persönliche Gebäudehülle. Dies ist einfach zu verstehen und zu
vermitteln. Das enorm wichtige Thema der Energieeffizienz oder gar
der Ganzjahresenergiebilanz ist jedoch um ein Vielfaches komplexer.
Für die Betrachtung von Glas und Fenster lässt sich die
Energieeffizienz nach der DIN EN ISO 1077 bewerten. Hier wird
anhand der wichtigen Leistungseigenschaften von Glas und Fenster
unter Berücksichtigung der Klimadaten eine Bilanzierung möglich.
Dabei werden die Energieverluste, durch die Uw- und Ug-Werte
verursacht, den solaren Energiegewinnen durch das Glas (g-Wert)
gegenübergestellt. Die Tabelle zeigt eine solche Bilanzierung, bei
der verschiedene Zweifach-, Dreifach- und Vierfach-Isoliergläser
verglichen werden (Tab 1). Negative Werte stellen einen
Netto-Energiegewinn dar, positive Werte stellen einen
Netto-Energieverlust dar. Der Bewertungszeitraum beläuft sich über
ein Jahr.
Tabelle 4: Die Ermittlung erfolgte nach EN ISO 10077-1
Vordergründig lässt sich bei sehr hellen Vierfach-Isoliergläsern
ein Nettoenergiegewinn berechnen. In der Regel ist dieser Gewinn
jedoch nur unter optimalen Bedingungen nutzbar. Dazu gehört z.B.
eine optimale Lage des Gebäudes. Tallagen mit beschränkten
Sonnenstunden oder Verschattungen durch andere Gebäude in
Innenstadtbereichen lassen eine solche Bilanz auch sehr schnell
kippen. Auch der sommerliche Wärmeschutz muss akribisch geplant
werden, damit die gute Energiebilanz der Fenster durch übermäßige
Klimatisierung und Kühlung nicht wieder zunichte gemacht wird.
Dieser Nettogewinn ist also nur eine theoretische Rechengröße.
Betrachtet man diese über den gesamten Lebenszyklus des Glases,
sieht es schon dramatisch anders aus. Mit der Durchführung einer
Lebenszyklusanalyse werden die Umwelteinwirkungen von Produkten
transparent. Dies gilt vor allem für den zur Herstellung
notwendigen Energieeinsatz und die anfallenden CO₂-Emissionen. So
verbraucht die Herstellung von Vierfach-Isolierglas ca. 172% mehr
Energie und mehr als doppelt so viel Wasser als die Herstellung von
Dreifach-Isolierglas (siehe Tab. 5). Die Veränderung der
Ladekapazitäten beim Transport wurde dabei noch nicht einmal
berücksichtigt. Für den Transport von Vierfach-Isolierglas ist im
Vergleich zu Zweifach-Isolierglas jedoch die doppelte
Transportkapazität notwendig. Im Sinne der Nachhaltigkeit erscheint
Vierfach-Isolierglas also weder wirtschaftlich, noch energetisch
und ökologisch vorteilhaft.
Tabelle 5: Auszug aus den Umweltproduktdeklarationen von
Saint-Gobain Glass
Fazit
Durch eine zusätzliche Scheibe verbessern sich nicht automatisch
auch die Glaseigenschaften. Der Grund: Bei technischen Systemen
zieht die Veränderung von Einzelkomponenten auch immer eine
Veränderung des gesamten Systems nach sich. Durch die
physikalischen Wechselwirkungen der einzelnen Komponenten eines
Fensters, bzw. Isolierglases, steigt die Komplexität solcher
Systeme überproportional an. Zusammenfassend lässt sich also
feststellen:
- Eine Erhöhung des Nutzens durch die Verwendung von
Vierfach-Isolierglas ist nur bei wenigen Glasaufbauten darstellbar
und dies auch nur unter formal optimalen Randbedingungen.
- Der ökologische Nutzen ist durch den überproportionalen
Energieaufwand bei Herstellung und Transport des Glases mehr als
fraglich. Ein Teil des hohen Energieverbrauchs ist der
Notwendigkeit geschuldet, bei Vierfach-Isolierglas aus
thermo-mechanischen Gründen Einscheiben-Sicherheitsglas ESG
einzusetzen.
- Die Frage nach der Lebensdauer von Vierfach-Isoliergläsern
lässt sich zurzeit aufgrund fehlender zuverlässiger
Bewertungsmöglichkeiten der dauerhaften Belastungen der
Randverbundsysteme nicht ausreichend sicher beantworten.
- Eine Kostenamortisation dürfte wegen des Fertigungsaufwandes
bei gleichzeitig minimaler Verbesserung der Leistung im Vergleich
zu Dreifach-Isolierglas illusorisch sein.
- Schließlich muss abschließend auch noch die Frage nach der Ästhetik gestellt werden. Bei vier beschichteten Gläsern, davon drei Scheiben zu ESG vorgespannt, dürfte eine verzerrungsfreie Durchsicht eher die Ausnahme als die Regel sein. Weiterhin muss dem Endverbraucher auch gefallen, dass seine Vierfach-Isoliergläser stark spiegeln.
Autor: Ralf Vornholt, Saint-Gobain Glass, Aachen
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