Van Gogh Museum in Amsterdam
Neuer Eingangsbau als kaltgebogene Ganzglaskonstruktion
Mit insgesamt 200 Gemälden, 500 Zeichnungen und über 700 Briefen besitzt das Van Gogh Museum in Amsterdam die weltweit größte Sammlung mit Werken des niederländischen Malers. Und die zieht jährlich bis zu 1,6 Millionen Besucher an. Dem war der schmale Eingang auf Dauer nicht gewachsen. Um die langen Warteschlangen zu verkürzen, entschied man sich für den Bau eines neuen Eingangsgebäudes auf der einstigen Rückseite des Museums. Das besteht aus zwei Gebäuden: dem Haupthaus aus dem Jahr 1973 nach Plänen des Architekten Gerrit Rietveld und dem Ergänzungsbau, der 1999 eröffnet und von dem japanischen Architekten Kishō Kurokawa entworfen wurde. Aus dem Büro des 2007 verstorbenen Kurokawa stammt auch der Entwurf für den geschwungenen Erweiterungsbau; Hans van Heeswijk Architects aus Amsterdam waren vor Ort und übernahmen die Ausführungs- und Detailplanung.
Gallerie
Vollständig verglast, dient das neue Entree dient als neutrales Verbindungselement zwischen Bestand und Erweiterung. Nach Passieren der großen Drehtüren gelangen die Besucher über eine breite Ganzglastreppe hinab ins Untergeschoss, wo sich Garderobe, Museumsshop und Sanitärräume befinden. Von hier aus geht es in den Rietveld-Bau zur permanenten Van Gogh Sammlung oder den wechselnden Ausstellungen im Kurokawa-Bau.
Die Glaskonstruktion des Neubaus sorgt nicht nur für eine
lichtdurchflutete Eingangshalle, sie ist auch in technischer
Hinsicht bemerkenswert. Denn sowohl die rund 650 Quadratmeter
messende Fassade, als auch die etwa 600 Quadratmeter große
Dachfläche sind aus gebogenem Glas mit teils tragenden
Glaselementen gefertigt. Das Dach besitzt die Form eines
invertierten Ellipsoids, die Fassade ist ebenfalls elliptisch
gekrümmt.
Glas
Sämtliche am Bauvorhaben verwendeten Verglasungen bestehen aus
eisenoxidarmem Weißglas, das aufgrund der geringen Eigenfärbung
eine größtmögliche Transparenz mit maximaler Farbwidergabe bietet.
In der Dachkonstruktion wurden betretbare
Zweifach-Isolierverglasungen aus 8 mm ESG (außenseitig)
und einem Verbundsicherheitsglas aus 2 x 10 mm
TVG und
1,52 mm PVB-Folie dazwischen, verbaut. Das ESG ist mit
einem weißen punktförmigen Siebdruck und einer
Sonnenschutzbeschichtung versehen, die eine hohe Lichttransmission
ermöglicht und gleichzeitig vor zu starker Überhitzung der
Glaskonstruktion schützt.
Für die Krümmung der Glaselemente entschied man sich für das Kaltbiegeverfahren, da sich nur mit ihm die anspruchsvolle Dachgeometrie bei gleichzeitig homogener Oberfläche erzielen ließ. Dabei wurden die ebenen Isolierverglasungen in die gebogene bzw. nichtebene Dachfläche eingebaut. Die Ableitung der hohen Rückstellkräfte, die daraus resultieren, dass die Gläser in die angestrebte Geometrie gezwängt wurden, erfolgt über Glashalter in das Primärtragwerk aus Glasbalken. Die bis zu 9,40 m langen Fassadenverglasungen wurden ebenfalls im Kaltbiegeverfahren auf die Unterkonstruktion gezwängt. Die sich daraus ergebenden Spannungen wurden bei der Bemessung neben den sonst üblichen Einwirkungen aus Eigengewicht, Wind, Schnee und Temperatur berücksichtigt. Eingesetzt wurden auch hier Zweifach-Isolierverglasungen; die Biegeradien reichen von 11,50 m bis 43,50 m. Ihre inneren und äußeren Glasscheiben wurden wegen der starken Beanspruchung als Verbundsicherheitsgläser aus jeweils 2 x 5 mm TVG und 1,52 mm PVB-Folie dazwischen ausgebildet. Gehalten werden die Fassadenverglasungen durch insgesamt 20 Glasschwerter, die im Kopfbereich an die stählerne Tragkonstruktion angeschlossen sind.
Die Primärtragwerke des Daches und der Fassade sind Hybridkonstruktionen aus Stahl und Glas. Vorgabe war, dass die Stahlbauteile möglichst minimal ausfallen sollten. Schlussendlich umgesetzt wurde eine gebogene Stahlrohrkonstruktion, die mit Rohrdurchmessern von etwa 400 mm tatsächlich sehr filigran ist. Sie folgt der Dachkontur und liegt auf runden Stahlstützen auf. Entlang der Glasfassade sind die Stützen etwa 1,30 m nach innen versetzt angeordnet, sodass das Glasdach hier auskragt. Dagegen mussten die Stahlstützen entlang des Bestandsgebäudes aus geometrischen Erfordernissen um bis zu 6° geneigt werden.
In die gebogene Stahlrohrkonstruktion wurden insgesamt 30
Glasbalken (Dreifachlaminat mit SGP-Folie)
integriert. Bedingt durch die spezielle Dachgeometrie haben alle
Glasbalken unterschiedliche Längen und Neigungen: der längste misst
11 m, ist etwa 700 mm hoch und um 16,5° geneigt. Über
Stahlköcher sind die Glasbalken an die Stahlrohrkonstruktion
angebunden. Die Köcher leiten die Druckkräfte infolge
Windeinwirkung erst in die umlaufende und wie ein Zugband wirkende
Stahlrohrkonstruktion und dann in die Stützen. Zusammen
gewährleisten sie die Aussteifung der Gesamtkonstruktion. Für die
technisch korrekte Umsetzung dieses statischen Systems waren die
richtigen Klotzungsmaterialien zur Vermeidung von
Stahl-Glas-Kontakten im Stahlköcher essentiell. Die Wahl fiel auf
Klotzungen aus Polyoxymethylen (POM) und Neopren.
Bautafel
Architekten: Kisho Kurokowa Architect & Associates, Tokio (1999, 2012); Hans van Heeswijk Architects, Amsterdam (2015)
Projektbeteiligte: Arcadis, Rotterdam (Bauberatung); Bouwbedrijf Van der Spek, Pijnacker (Bauunternehmen); Deerns Raadgevende Ingenieurs, Amsterdam (Bauphysik); Breedveld en Schröder, Almere (Elektroplanung); Werktuigbouwkundige installaties, Utrecht (Gebäudetechnik) Octatube, Delft (Tragwerksplanung und Umsetzung der Glaskonstruktion)
Bauherr: Rijksvastgoedbedrijf, Den Haag
Fertigstellung: September 2015
Standort: Van Gogh Museum, Museumplein 6, 1071 Amsterdam
Bildnachweis: Jan-Kees Steenman für das Van Gogh Museum Amsterdam; Ronald Tilleman und Luuk Kramer für Hans van Heeswijk Architects
Fachwissen zum Thema
Bauwerke zum Thema
Surftipps
BauNetz Wissen Glas sponsored by:
Saint-Gobain Glass Deutschland