Umnutzung der Kirche St. Sebastian in Münster zur Kita
Haus im Haus aus Kalksandstein-Plansteinen
Rückläufige Mitgliederzahlen der Kirchengemeinden in Deutschland haben zu einer Profanierung zahlreicher Kirchen geführt. Dabei werden die Sakralbauten zunächst entweiht, um dann entweder stillgelegt oder für einen weltlichen Zweck umgenutzt zu werden. So erging es auch der im Jahre 1962 nach Plänen des Architekten Heinz Esser errichteten Kirche St. Sebastian in Münster. Nachdem sie 2008 profaniert worden war, lobte die Gemeinde einen Architekten- und Investorenwettbewerb für die Umnutzung des Grundstücks aus. Das Wettbewerbsprogramm sah die Planung von Wohnungen und einer Kindertagesstätte vor; der Erhalt des nicht denkmalgeschützten Kirchenbaus war nicht zwingend vorgeschrieben.
Gallerie
Als Sieger setzte sich das Münsteraner Architekturbüro Bolles und Wilson mit einem von nur zwei Beiträgen durch, die einen Umbau der schnörkellosen Kirche vorschlugen. Obwohl der Erhalt teurer war als ein Neubau, überzeugte ihr Konzept, den elliptischen Ziegelbau mit seinem geschwungenen Dach und den kleinen, quadratischen Fenstern als vertrauten Identifikationspunkt des Quartiers zu erhalten. Im ersten Bauabschnitt wurde nun das Gebäude saniert und im Inneren die Kindertagesstätte für 95 Kinder als Haus im Haus untergebracht.
Dazu wurde zunächst der Boden des Kirchenschiffs einen Meter tiefer gelegt, dann die Kindertagesstätte als ein die gesamte Grundfläche ausfüllender Flachbau hineingesetzt. Der abgetreppte, teilweise zweigeschossige Einbau beherbergt im unteren Geschoss drei, im oberen zwei Gruppenräume. Seine Flachdächer bilden nun den neuen Boden der immer noch hohen, elliptischen Halle. Sie dient jetzt als Allwetter-Spieldeck – das zwar innerhalb der Kirchenmauern liegt, klimatisch aber als Außenfläche ausgebildet ist. Die vorhandenen Fenster in der Außenmauer im Raster aus 50 x 50 cm wurden teilweise geöffnet, sodass zu allen Jahreszeiten eine gesunde Querlüftung durch das „Innen-/Außen-Spielzimmer“ stattfinden kann. Im Winter kalt, im Sommer angenehm temperiert, aber immer trocken können die Kinder ganzjährig hier spielen. Das ursprüngliche Dach wurde wegen statischer Probleme durch neue Querbalken aus Brettschichtholz ersetzt. Darüber verlaufende Oberlichtbänder leiten jetzt viel Tageslicht ins Innere des ehemaligen Kirchenschiffs.
Die Innenseite der Kirchenwände bedecken auf etwa 140 m² Akustikpaneele in Form von 30 x 60 cm großen Sauerkrautplatten, die mit den gepixelten Umrissen eines Elefanten, einer Schlange und eines riesigen Krokodils bedruckt sind. In dem grasgrünen Fallschutzboden des großen „Spielzimmers" wiederholen sich die Farbtöne der Gruppenräume. Gigantische Hand- und Fußabdrücke, eingelassen in den grünen Boden, erzeugen ein Spiel mit Maßstäben.
Neben dem Kirchenbau entstand ein keilförmiger Anbau, der einen Mehrzweckraum und zusätzliche Nebenräume beherbergt, die sowohl von der Kindertagesstätte als auch von anderen Gruppen aus der Nachbarschaft genutzt werden. Ein beide Baukörper verbindender verglaster Eingang führt sowohl zur Kita als auch zu den angedockten Bereichen. Die Außenspielplätze erhielten eine Bobby-Car-Rennstrecke und ein Spielhaus, das von den Spieldecks aus zugänglich ist und als zweiter Fluchtweg dient. In einem zweiten Bauabschnitt entsteht ein viergeschossiger Wohnungsneubau entlang der Straße, der die Anlage der Kindertagesstätte zur Hauptverkehrsstraße abschirmt.
Mauerwerk
Die Außenwände des Kirchenbaus bestanden ursprünglich aus einem
einschaligen Mauerwerk, das von außen mit 1 cm dicken Riemchen aus
weißem Carraramarmor verblendet war. Für die bis zu 14 m hohen
Außenwände benötigte das Mauerwerk eine Stärke von 54 cm. Leider
wiesen die Marmor-Riemchen bereits wenige Monate nach der
Fertigstellung schadhafte Stellen auf und fielen zum Teil ab. Daher
wurde damals die Verblendung entfernt und stattdessen das noch
heute existierende, 11,5 cm starke Verblendmauerwerk aus Ziegeln errichtet. Eine 8
cm starke Luftschicht zwischen Hintermauerwerk und Vormauerung wurde belassen,
um eine Hinterlüftung zu gewährleisten. Rundstahleisen
mit einem Durchmesser von 5 mm, die in den Lagerfungen der
Verblendschale verankert sind, verbinden diese elastisch über Dübel
mit dem Hintermauerwerk. Als Verblender kam bei der Sanierung ein
bronzefarbener Handstrichziegel zum Einsatz, der im wilden
Verband
vermauert und sandfarben verfugt wurde. Die Fensterstürze sowie der
Dachrand bestehen aus einer Rollschicht.
Der Wandaufbau der Haus-in-Haus-Konstruktion im Anschluss an die
bestehende Außenwand setzt sich wie folgt zusammen: Eine 14 cm
starke Dämmschicht sorgt für den notwendigen Wärmeschutz, das
anschließende Mauerwerk besteht aus 17,5 cm tiefen Plansteinen aus
Kalksandstein im Format 6 DF (248 x 175 x 248
mm). Die Innenwände sind aus großformatigen
Kalksandstein-Planblöcken mit den Abmessungen 498 x 175 x 498 mm
und 498 x 115 x 498 mm errichtet und auf der Innenseite verputzt.
Kalksandstein-ISO-Kimmsteine als unterste Mauerschicht verhindern
ein Aufsteigen von Kälte aus der Sohlplatte.
Bautafel
Architekten: Bolles + Wilson, Münster
Projektbeteiligte: Anne Elshof / Christoph Lammers / Christoph Macholz, Münster (Projektarchitekten Bolles + Wilson); Klaus Kuchenbuch, Münster (Bauleitung Bolles + Wilson); AHW Ingenieure, Münster (Tragwerksplanung/ Bauphysik); Ingenieurbüro Nordhorn, Münster (Haustechnik); W+W Sachverständige und Ingenieure für Brandschutz, Everswinkel (Brandschutz); Peter Andres Beratende Ingenieure für Lichtplanung, Hamburg (Tageslichtsimulation); Xella, Duisburg (Kalksandsteine)
Bauherr: Wohn+Stadtbau, Münster
Nutzer: AWO Arbeiterwohlfahrt, Münsterland-Recklinghausen
Fertigstellung: 2013
Standort: Scheibenstraße 36, 48153 Münster
Bildnachweis: Bolles + Wilson, Münster; Fotos: Markus Hauschild, Christian Richters, Sabine Ahlbrand / Rudolf Wakonigg, Münster
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