Crossrail Station Canary Wharf in London
Hölzerne Gitterkonstruktion mit Membrankissen überwölbt öffentlichen Park
Die Halbinsel Isle of Dogs zwischen dem Londoner Stadtzentrum und dem östlich gelegenen City Airport ist an drei Seiten von der hufeisenförmig geschwungenen Themse umschlossen. Zudem ist sie mehrfach durchbrochen von Hafenbecken, darunter die West India Docks. 2015 eröffnete dort die Canary Wharf Station nach Plänen der ortsansässigen Architekten Foster und Partners ihre obersten Etagen. Sie ist eine von zehn Haltestellen des Infrastrukturprojektes Crossrail Station, das 2018 vollendet sein soll. Dann verkehrt die Bahnlinie Elizabeth Line zur Entlastung der Londoner Untergrundbahn zwischen Paddington Station westlich der City und Abbey Wood Station ganz im Südosten.
Gallerie
Für das Finanzzentrum Canary Wharf mit seinen Wolkenkratzern aus Glas und Stahl bildet der Bahnhof einen wichtigen Verkehrsknotenpunkt; die markante Tonnendachkonstruktion in Holzbauweise stellt ein weiteres architektonisches Highlight der britischen Metropole dar. Ein Großteil des rund 260 Meter langen siebengeschossigen Gebäudes bleibt verborgen: vier Geschosse sind unterhalb, und nur drei Geschosse oberhalb der Wasserlinie der Themse angeordnet. Der eigentliche Bahnhof mit den Gleisanlagen, einer Kassenhalle und 40 Meter langen Rolltreppen befindet sich auf den beiden untersten Ebenen. Auf vier Geschossen darüber sind Parkdecks, Geschäfts- und Freizeiteinrichtungen wie Restaurants und Bars angesiedelt. Obenauf befindet sich ein spektakulärer Dachraum, der einen öffentlichen Park mit zum Teil exotischen Pflanzen unter einer hölzernen Gitterkonstruktion mit Membrankissen beherbergt. Er dient Reisenden wie Angestellten der nahen Büros als grüner Erholungsraum mit Ausblick auf das moderne Finanzzentrum.
Dach
Das 300 Meter lange Dach in Holzbauweise, dessen Bogen 31 Meter
frei überspannt, entstand in nur sechs Monaten Bauzeit. Die
Konstruktion bildet im Querschnitt eine Halbellipse. Es handelt
sich um ein Tonnendach als Stabnetztragwerk – die Konstruktion
erinnert an das Zollingerdach, auch Zoll-Lamellenbauweise
genannt. Anstelle der außermittigen Knoten des Zollinger Dachs
verbinden allerdings momentensteife Stahlknoten die Netzstruktur
der Stäbe. Das Tragwerk besteht aus 1.525 Balken, wovon die meisten
(1.414) aus Brettschichtholz in Fichte der Güteklasse GL24h und
GL28h gefertigt sind; die übrigen 111 sind rechteckige Formrohre
aus Stahl. Sie befinden sich in den frei bewitterten Bereichen der
Entlüfung, wo durch warme Abluft ein Auftreten von Kondensat zu
erwarten ist. Die Balken sind (geometriebedingt) zwischen 3,70 und
6,70 Meter lang.
Als Basis für die Planung und Ausführung des komplexen Dachtragwerks diente ein koordinativ fixiertes Gitternetz, mit dem tabellarisch Regeln für die exakte Positionierung aller Bauteile erfasst wurden. Auf diese Weise wurden individuelle 3-D-Modelle sowohl für die Statik als auch für die Architektur und Werkplanung erstellt. Die Netzstruktur der Tragschale setzt sich aus gekoppelten Dreiecken zusammen. Deren Geometrie ist im mittleren Teil der Konstruktion in jeder Linie gleich; in den Endbereichen werden die nach außen hin fallenden Scharen der Diagonalen allerdings flacher, wodurch jedes Dreieck unterschiedliche Seitenverhältnisse erhält. An den Enden kragt die dorthin offene Dachkonstruktion um jeweils 30 Meter über das Wasser hinaus und formt sogenannte „dog ears“ (Hundeohren). Den Dachabschluss bilden „end ring beams“: Stahlrohre, die parallel zu den diagonal ausgerichteten Holzbalken verlaufen. Sie sind doppelt gekrümmt und verstärken die Dachstruktur.
Das Dach ist mit 780 transparenten bzw. semitransparenten Membrankissen gedeckt; einige Felder im Zentrum wurden offen gelassen. So ist die natürliche Bewässerung des darunter liegenden öffentlichen Parks ebenso möglich wie Ausblicke aus den Cafés zu den Wolkenkratzern von Canary Wharf. Für den Luftaustausch zwischen den zweilagigen Membrankissen sorgen vier Luftversorgungsstationen mit 330 Luftverteilerkästen.
Die Struktur des Daches ist in einem regelmäßigen Raster von
sechs mal sechs Metern in den Knotenpunkten aufgelöst. Diese Punkte
stellten eine große technische Herausforderung dar. Eine
Standardsoftware war nicht verfügbar, so dass umfangreiche
Bemessungstabellen und Makros erstellt wurden, um für jeden
Anschlusspunkt die Nachweise für die dort auftretenden
Lastkombinationen zu führen. Zusätzlich wurden Vergleichsrechnungen
mit Finite-Elemente-Modellen durchgeführt. Bei den Knoten treffen
in der Regel vier Diagonalbalken und zwei Horizontalbalken
aufeinander. Dafür wurde ein sternförmig zusammengeschweißter,
zentraler Stahlknoten entwickelt mit aufgeschweißten Kopfplatten an
den Enden. Diese sind an die Geometrie der Holzbalken angepasst. In
den Kopfplatten befinden sich jeweils vier Bohrungen für eine
Schraubverbindung, während an den Balkenenden Stahlplatten mit vier
Innengewindebohrungen angebracht sind, welche die Schraubenmutter
ersetzen. Die Verbindung zwischen Stahlplatte und Hirnholz wurde
mittels geneigt eingedrehten Vollgewindeschrauben hergestellt. Auf
diese Weise konnte das Holzteil mit dem Zentralknoten auf der
Baustelle einfach mit Schraubenbolzen, gleich einem konventionellen
Kopfplattenstoß, verbunden werden. Die Konstruktion sollte auf 120
Jahre Bestand ausgelegt werden. Daher wurden die
Vollgewindeschrauben mit einer Zink-Nickelbeschichtung versehen,
die einer 1.500 Stunden andauernden Salzsprühnebelprüfung
standhalten. Zusätzlich wurden die Fuge zwischen der Stahlplatte
und dem Holz sowie die Senkungen für die Schraubenköpfe in den
Stahlplatten mit Epoxidharz-Zweikomponentenkleber ausgespachtelt.
Die Montage erfolgte von der Mitte her beidseitig in Längsrichtung.
Die präzise Vorfertigung und die momentensteifen Knotenverbindungen
ermöglichten eine schnelle und wirtschaftliche Ausführung ohne
aufwendiges Raumgerüst.
Bautafel
Architekt: Foster + Partners, London
Projektbeteiligte: Adamson Associates, London (Ausführendes Architekturbüro); Arup, London (Tragwerksplanung für das Gesamtprojekt und Prüfingenieur Dahtragwerk); Wiehag, Altheim (Planung, Statik und Ausführung Dachtragwerk); Maurice Brill Lighting Design, London (Lichttechnik); Gillespies Landscape Architects, London (Landschaftsarchitektur); Seele Austria, Schörfling (Dach und Fassadenkonstruktion)
Bauherr: Canary Wharf Group, London
Standort: Canay Wharf, London
Fertigstellung: 2015
Bildnachweis: Nigel Young, Foster + Partners, London