Temporärer Bauhaus-Pavillon in Berlin
Konstruktives Experiment mit Fensterelementen aus dem Dessauer Bauhaus
So unterschiedlich können Geburtstagsgeschenke ausfallen: 50 Jahre nach der Eröffnung von Walter Gropius' Bauhausgebäude in Dessau wird 1976 in West-Berlin der Grundstein für ein eigenes Archiv der Institution gelegt. 1979 ist es vollendet – also 60 Jahre nach Gründung der staatlichen Kunstschule. Auch das Archivgebäude entstand nach Plänen des inzwischen längst verstorbenen Walter Gropius; sein Entwurf stammte jedoch aus dem Jahr 1964 und bezog sich auf einen anderen Standort: die Darmstädter Rosenhöhe. Die merkwürdige Lage fern der Straße ist Gropius also nicht anzulasten, und auch nicht, dass von Anfang an Platzmangel herrschte. Zu verdanken ist ihm die einprägsame Silhouette mit den viertelkreisförmigen Sheddächern. Das andere Geschenk machten Entscheidungsträger der DDR dem Bauhaus in Dessau ebenfalls im Jahr 1976: Das Gebäude von 1926 wurde modernisiert, der im Zweiten Weltkrieg erheblich beschädigte Bau erhielt neue Fenster und Glasfassaden. Auch diese Fassadenelemente sind inzwischen ausgebaut – zugunsten einer sorgfältig am Original orientierten Restaurierung und Instandsetzung, die umgehend mit dem Status als Weltkulturerbe der UNESCO gewürdigt wurde.
Gallerie
Zum 100. Geburtstag der Institution Bauhaus im Jahr 2019 soll das Berliner Bauhaus-Archiv erweitert werden. Eine Zwischenlösung gibt es bereits: Den künftigen Standort eines Neubaus an der Klingelhöferstraße markiert ein flacher gläserner Pavillon. Konstituierende Elemente des 12 mal 14 Meter messenden Baukörpers sind 43 aus dem Dessauer Bauhaus demontierte Fenster und Balkontüren – die Fassadenelemente von 1976 wohlgemerkt, nicht die Originale.
Konzipiert und geplant wurde der Pavillon von den Architekten Robert Huber und Peter Winter. Sie ließen die jeweils zwölfteiligen raumhohen Fensterelemente mit schmalen Profilen leicht ausbessern und in eine neue Tragkonstruktion aus verzinktem Stahl montieren. Die Fassade wurde räumlich aufgedoppelt durch eine umlaufende Pufferzone in Flurbreite; die Dachkonstruktion über dem stützenfreien Innenraum besteht aus stählernen Fachwerkträgern und leichten Polycarbonat-Stegplatten. Drei blaue Frachtcontainer, deren Abmessungen erstaunlich passgenau mit der Breite und Höhe der Fenster übereinstimmen, gliedern den Raum und dienen selbst als WC, Lager und Windfang. Weil der Pavillon temporären Charakter hat und früher oder später weichen wird, sind die meisten Elemente verschraubt und nicht verschweißt. So können sie nach der Demontage in dieser oder anderer Form an einem neuen Ort wieder aufgebaut werden.
Dem Bauhaus-Archiv dient der Pavillon zunächst für die Museumspädagogik, als Werkstatt und Veranstaltungsraum. Und sicher auch als Schaufenster zur Stadt, vor der es die längste Zeit auf Distanz geblieben ist.
Bauphysik
Die Demontage der großen Fenster aus dem Bauhausgebäude erfolgte
vor allem auch wegen ihrer bauphysikalischen Defizite: Die
Metallkonstruktion mit Einfachverglasung bewirkte eine starke
Aufheizung der dahinter liegenden Räume im Sommer und einen
immensen Verlust von Heizwärme im Winter. Diese Eigenschaften haben
die Fenster natürlich nach wie vor. So ist denn auch das
bauphysikalische Konzept für den Pavillon analog zur konstruktiven
Einfachheit der eingesetzten Elemente denkbar simpel: Kompensiert
wird nicht mit aufwendiger Technik, sondern mit herkömmlichen und
angemessenen Mitteln. Das bedeutet, dass für den sommerlichen und
winterlichen Wärmeschutz sowie die Lüftung und den Schutz vor
Feuchtebildung Hand angelegt werden muss.
Die erste Maßnahme ist eine Aufdoppelung der Fassade in nunmehr zwei Ebenen. Die Zweischaligkeit bewahrt grundsätzlich vor allzu schnellen und gravierenden Temperaturwechseln. Konsequenterweise ist der Zwischenraum gleich so dimensioniert, dass er als Wandelgang nutzbar ist. Gelüftet wird quer durch die einander gegenüberliegenden Fenstertüren. Zusätzlich sind entlang der Fenster Vorhänge angebracht, deren Qualität und Position noch erprobt werden. An der Unterseite der Dachebene schützen waagerecht angebrachte Textilien vor direkter Sonneneinstrahlung. Sie verhindern an dieser Stelle jedoch nicht, dass Sonnenenergie auf die Polycarbonatplatten trifft und den Deckenzwischenraum erwärmt. Durch Lüftungsklappen im Dach lässt sich dies ausgleichen – nicht automatisiert, sondern von Hand und nach Bedarf.
Die verschiedenen Maßnahmen zur Belüftung und Verschattung
werden noch getestet. Ihre Effektivität wird gemessen – auch
ein Blower-Door-Test zur Ermittlung der
Undichtigkeiten der Gebäudehülle ist vorgesehen – und
gegebenenfalls werden sie angepasst und verändert. Der Pavillon ist
damit nicht nur konstruktiv ein reversibles Experiment, sondern
auch bauphysikalisch eine Lehrbaustelle und Werkstatt im
Trial-and-Error-Modus.
Bautafel
Architekten: Zukunftsgeraeusche (Robert Huber und Peter Winter), Berlin/München
Planungsbeteiligte: Wagner Tragwerke, Stuttgart (Tragwerksplanung), Frank Vogdt, Fachgebiet für Bauphysik und Baukonstruktionen an der TU Berlin (wissenschaftliche Begleitung)
Bauherr und Kooperationspartner: Bauhaus Archiv/Museum für Gestaltung, Berlin
Fertigstellung: 2015
Standort: Klingelhöferstraße, Berlin
Bildnachweis: Baunetz (us), Berlin