Ray 1 in Wien

Expressiver Flachdachaufbau

Ähnlich einem Flugobjekt hat sich hoch über dem Häusermeer von Wien ein außergewöhnlicher Dachaufbau der Architekten Delugan-Meissl auf einem Bürohaus der 1960er Jahre niedergelassen. Lange hatten die Architekten „ihren" Dachboden zu privaten Wohnzwecken gesucht, um schließlich bei einer leeren Dachfläche anzukommen, die sie jahrelang von ihrem Büro aus sehen konnten. Diese glich einer Zahnlücke zwischen zwei Brandwänden und erschien ihnen als Herausforderung zum Beplanen und -bauen.

Das Dach folgt dem Konzept der Faltung
Schwellenlose Übergänge bis hin zum Wasserbecken als Brüstungsersatz
Delugan Meissl, Wien/A

Benannt wurde das Vorhaben dann auch nach dem Zweitnamen ihrer Tochter: Ray. Auf 230 m² luxuriöser Wohnfläche entstand die realisierte Lebens- und Arbeitsphilosophie der Architekten: pure Architektur mit dem Hang zur Perfektion bis ins kleinste Detail. Der Entwurf greift zwar die engen Richtlinien der Wiener Bauordnung durch die Fortführung der Giebellinie der beiden angrenzenden Gebäude auf, ordnet sich ihnen jedoch nicht unter - ein Beleg dafür, dass Richtlinien nicht immer hinderlich sein müssen, sondern auch zur Kreativität anspornen können.

Da auf den Altbau keine Punktlasten abgetragen werden konnten, wurde das Gebäude auf einer Stahlkonstruktion errichtet, die die Lasten über die angrenzenden Giebelwände abträgt. Parallel zu diesen statischen Vorgaben der Tragwerkskonstruktion entwickelte sich das Konzept einer gefalteten Dachlandschaft, die einen weitgehend stützenfreien Raumfluss gewährleistet. Das dem Ort eigene Spannungsfeld aus äußeren Bedingungen und fließendem inneren Raumkontinuum setzt sich fort in transparenten Bereichen und geschützten Dachterrassenlandschaften zu beiden Seiten des Gebäudes, die durch Einschnitte und Überlagerungen entstanden und die exponierte Lage bis hin zum begehbaren Dach erlebbar machen.

Die mit Aluminiumverbundplatten gestaltete Außenhaut setzt sich im Innenbereich plastisch in Zonen und Nischen unterschiedlicher Wertigkeit fort. Der Innenraum ist als großzügiges Loft gestaltet, seine unterschiedlichen Funktionsbereiche durch Auffaltungen und Höhendifferenzierungen definiert. Der weiträumige Wohnbereich mit zentraler Küche liegt etwa einen Meter höher als die separierten Schlafzonen, die dadurch einen intimen, geschützten Charakter erhalten. Der offene Küchenblock befindet sich - als Zwischenplateau der ansteigenden Wohnlandschaft - im Übergang von introvertiertem zu extrovertiertem Bereich und fungiert als Schnitt- und Schaltstelle im räumlichen Ablauf.

Eine große, mit Leder bezogene Liegelandschaft befindet sich auf gleichem Niveau wie ein Arbeitsbereich, der aus dem Überhang einer über die Grundstücksgrenzen expandierenden Gebäudefaltung entstanden ist. Dabei folgt der Einsatz von tragendem Glas an dieser Stelle konsequent der Forderung nach einem fließenden architektonischen Raum, der Durchlässigkeit und Kontinuität aufweist. Im hinteren Bereich lässt sich der Wohnraum durch eine großzügige rahmenlose und vollständig aufschiebbare Eckverglasung zu einer Dachterrasse mit vorgelagertem Wasserbecken erweitern, das einen schwellenfreien Weitblick über Wien ermöglicht.

Flachdach
Unter der Hülle des Baukörpers verbirgt sich eine tragende Stahlkonstruktion, die ein autarkes statisches System bildet - theoretisch könnte der Dachaufbau als Ganzes auf ein anderes Gebäude transferiert werden. Es gibt keine einheitliche Dachform, keine Außenwände im herkömmlichen Sinne, lediglich eine Haut aus Aluminiumverbundplatten, die das Ganze überspannt, von außen nach innen dringt und die Grenzen verschwimmen lässt.

Der Dachbereich wurde als Warmdach ausgeführt, d.h. Wärmedämmung zwischen den Stahlträgern mit einer oberseitigen einlagigen Abdichtung aus Kunststoff. Im Übergang zwischen Dach und Wand wurde eine innenliegende Rinne ausgebildet, die durch die Verkleidung überdeckt und daher von unten nicht sichtbar ist. Das Entwurfskonzept der Kontinuität von Raum und Material setzt sich nicht nur bis in dieses letzte (Dach-)Detail fort, auch die Dachterrassen mit Böden aus gebeiztem Lärchen-Lattenrost unterstützen einen fließenden Übergang zwischen Innen und Außen. Eine der drei Freiflächen ist nach Westen orientiert, so dass hier der Abend genossen werden kann. Das vorgelagerte Wasserbecken ersetzt ein notwendiges Geländer, ermöglicht einen ungestörten Blick über Wien und bietet Abkühlung im Sommer.

Bautafel

Architekten: Delugan-Meissl, Wien
Projektbeteiligte: Werkraum Wien (Tragwerksplanung); Eckelt Glas, Steyr (Verglasungen)
Bauherr: Delugan-Meissl, Wien
Fertigstellung: 2003
Standort: Mittersteig 10, Wien, Österreich
Bildnachweis: Rupert Steiner, Wien/A, Delugan-Meissl, Wien

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