Nationalstadion in Warschau

Sprachalarmierung und Großbildschirme mit integrierten Gaslöschanlagen

Wie ein flacher Weidenkorb wirkt das Nationalstadion, das östlich der Warschauer Innenstadt am Ufer der Weichsel liegt. Gebaut für die Fußballeuropameisterschaft 2012 bildet es das weithin sichtbare Zentrum des neuen Sportparks, denn es steht auf dem alten, jedoch nicht mehr genutzten und verfallenen Erdwallstadion Dziesieciolecia. Der Entwurf für die Stadion, das als Mehrzweck-Arena für 55.000 Besucher genutzt wird, stammt vom Architekturbüro von Gerkan, Marg und Partner, das aus einem Wettbewerb 2007 als Sieger hervorgegangen war.

Der Neubau wurde auf dem bestehenden, jedoch verfallenen Erdwallstadion „Dziesieciolecia“ errichtet, ohne dass das Niveau der Wallkrone oder des bisherigen Spielfelds verändert wurden
Nachts sind die Hülle aus eloxierten Streckmetall-Elementen und das transluzente Membrandach hinterleuchtet
Weiße und rote Fassadenelemente erzeugen einen in Farbpixel aufgelösten Verlauf vom unteren zum oberen Rand der Korb-Banderole

Die Grundrissform des Stadions liegt zwischen Oval und Rechteck. Leicht und filigran wirkt seine Hülle, bestehend aus einem Tragwerk aus dicht nebeneinanderstehenden, schräg abgespannten Stahlstützen, einer durchscheinenden Haut aus scheinbar verwobenen Streckmetallbändern und einem transluzenten Membrandach. Die optische Leichtigkeit der Konstruktion wird durch das strahlende Weiß unterstrichen, in das die Bauteile getaucht sind. Im Kontrast dazu steht das leuchtende Rot eines Teils der rechteckigen Streckmetall-Elemente, die einen in Farbpixel aufgelösten Verlauf vom unteren zum oberen Rand der Korb-Banderole erzeugen.

Im Inneren wiederholt sich dieses Zusammenspiel der polnischen Nationalfarben in der Zuschauerbestuhlung, sodass ein schöner, durch das viele Weiß abgemilderter Komplementärkontrast zum Fußballrasen entsteht. Die Tribüne besteht aus schlichten Betonfertigteilen, deren zum Teil unverkleidete Oberflächen durch Glasbrüstungen und -wände sowie einen hellgrauen Estrichboden ergänzt werden. Zwölf bogenförmige einläufige Treppen führen im Außenraum und innerhalb der Streckmetallfassade von der Hauptverkehrsfläche (Level 00, das Niveau des früheren Erdwalls) zum Oberrang. Unterhalb der Tribüne liegen auf insgesamt zehn Ebenen Büro- und Konferenzräume, 68 VIP-Logen, Regieräume für Fernsehsender, eine ökumenische Kapelle, vier Restaurants mit Großküchen, Lager, Serverräume sowie vier unterirdische Parkgeschosse mit rund 1.800 Stellplätzen. Die Betonkonstruktion bildet die thermische Hülle der Innenräume.

Oben von den Sitzreihen aus ist das 69.000 m² große Seilnetzdach mit textiler, transluzenter Membran sichtbar, das auf dem äußeren Ring aus Stahlstützen auflagert. Über dem Spielfeld liegt das mit 10.000 m² flächenmäßig größte verstaubare Stadionmembrandach der Welt. Es besteht aus einem fahrbaren Membransegel, das im Zentrum der Konstruktion zusammengefaltet wird. Dort schwebt eine zwischen Zugseilen gehaltene, aus dem Stadiondach herausragende Stahlnadel, an der ein rundes Gehäuse zur Aufnahme des Segels und vier Großbildschirme aufgehängt sind.

Brandschutz

Mit seinen verschiedenen Räumlichkeiten auf 203.920 m² stellt das Nationalstadion eine eigene Gebäudetypologie mit spezifischen brandschutztechnischen Anforderungen dar. Aufgrund der vielen offenen Flächen und der weiten Fluchtwege, ist die Bildung von Brandabschnitten bei Stadien nur eingeschränkt möglich. Deshalb kommt den automatischen Löschanlagen eine ganz entscheidende Bedeutung zu. Eine überdurchschnittlich hohe Zahl von automatischen Löschanlagen sowie Entrauchungsanlagen sorgt im Nationalstadion für Sicherheit. Rund 30.000 Sprinkler mit 37 Alarmventilstationen werden im Brandfall aktiviert. Ausgelöst durch Feuer und Rauch beginnen sie nach Brandausbruch mit der „Wasserbeaufschlagung“. Die komplette Brand- und Sicherheitstechnik ist über Notstromaggregate abgesichert. Zusätzlich sorgt eine ausgefeilte Sprachalarmanlage mit einer großen Anzahl an Lautsprecherboxen für noch mehr Sicherheit. Es handelt sich hierbei um die Stadionbeschallung, die im Notfall eingesetzt wird und mit der Gefahrenmeldeanlage gekoppelt ist, die in allen Räumen unter den Tribünen und den Promenaden installiert ist. In jedem Winkel des Stadions sind so Live-Durchsagen hörbar.

Die Aufteilung des Gebäudes in Brandabschnitte betrifft die Innenräume unter den Tribünen, wie z.B. die Spielerkabinen, Büro- und Administrationsräume, Sozialräume, Lager- und Technikräume sowie Parkplätze. Diese Räume wurden abhängig von der Nutzung und der sich dort aufhaltenden Menschenmenge in Gefahrenklassen und in Produktions- und Lagerbereiche eingeteilt. Eine wesentliche Aufgabenstellung bei den Brandschutzabschnitten war die Abtrennung der Räume unter den Tribünen von den Tribünen, um ein Übergreifen des Feuers von den Räumen auf die Tribüne zu verhindern. In diesem Fall wurde eine nicht brennbare Stahlbetonkonstruktion für die Tribünen gewählt, die entsprechend isoliert ist und mindestens 60 Minuten (REI 60) einem Feuer standhalten kann. Zudem haben die Wände eine Feuerwiderstandsklasse von REI 120.

Die VIP-Bereiche, Logen oder die zur Tribüne hin geöffneten Restaurants mussten ebenfalls von den Tribünen abtrennt werden. Als Ausnahmeregelung wurden Glasfassaden aus dichtem Sicherheitsglas (gehärtetes Glas, geklebt oder laminiert) ausgeführt, welches zusätzlich mittels einer Sprinkleranlage gesichert ist. Die fünfgeschossigen VIP-Foyers mit ihren großzügigen Lufträumen sind über Rolltreppen, Fahrstühle und Fluchttreppenhäuser direkt an die unterirdischen Parkgeschosse angeschlossen und als eigene Brandabschnitte ausgebildet. Im Brandfall werden sie durch Rauchschürzen von den einzelnen dahinterliegenden Gangzonen abgetrennt.

Die Tiefgarage (vier Untergeschosse mit insgesamt ca. 1.800 Stellplätzen innerhalb des Stadions, davon zwei Ebenen direkt unterhalb des Spielfeldes) galt als besondere Herausforderung an den Brandschutz sowie an die Entfluchtung. Von den insgesamt zwölf oberirdischen Fluchttreppenhäusern führen acht bis in die zwei untersten Tiefgeschosse B4 und B3. Um die Fluchtweglängen aus den zentralen Bereichen unter dem Spielfeld zu verkürzen, verspringen die Treppenläufe von Geschoss zu Geschoss immer weiter nach innen und halten so die in Polen geltenden maximalen Fluchtweglängen ein. Neben den Sprinklern der Tiefgarage waren Maßnahmen zur Entrauchung dieser Bereiche notwendig. Zum einen Rauchschürzen, welche die Parkebenen entlang der Stadion-Y-Achse teilen, zum anderen Ventilatoren, welche von außen Frischluft einsaugen und den Rauch herausdrücken. Für die Evakuierung der Zuschauer von den Tribünen, ist ein Verlassen und Eintreffen in einem sicheren Bereich in einer Zeit von nicht mehr als acht  Minuten gefordert. Als sichere Bereiche wurden der Außenraum außerhalb des Stadions und die Promenaden auf unterschiedlichen Ebenen definiert und die Zeit zur Entfluchtung mit einer speziellen Software bestimmt. Alle mehrgeschossigen Lufträume (Atrien) sind mit automatischen Entrauchungsanlagen ausgestattet (mechanische oder natürliche Entrauchung). Auch die unterirdischen Ebenen, in denen mehr als 100 Personen gleichzeitig sein können, werden automatisch entraucht.

Da das Nationalstadion höher als 25 Meter ist, kommen Feuerwehraufzüge zum Einsatz, die der Evakuierung von Personen dienen, besonders Rollstuhlfahrern. Der Abstand zwischen der Feuerwehrumfahrt und den Feuerwehraufzügen überschreitet 50 Meter, deshalb erhielt das Stadion eine Auffahrt auf das Spielfeld. Diese ermöglicht und vereinfacht die Rettungs- und Löscheinsätze im Falle eines Feuers auf den Tribünen, dem Spielfeld oder der Bühne (im Konzertfall).

Aufgrund einer Ausnahmeregelung wurden für die Überdachung der Tribünen und des mobilen Innendaches im Stadion keine Anforderungen an die Brandschutzklasse gestellt. Die Überdachung ist aus nicht brennbaren, nicht entflammbaren und nicht tropfenden Materialien ohne Brandschutzanforderungen hergestellt und dies entspricht den Feuerwiderstandsklassen Klasse A1, A2 oder B für Baustoffe oder Broof für Bedachungen. Die Dachkonstruktion ist aus nicht entflammbaren Materialien ohne Anforderungen an die Feuerwiderstandsklassen. Die am Dach aufgehängten Großbildschirme stellen eine große Brandlast dar, deshalb wurde bei ihrer Konstruktion darauf geachtet, so wenig wie möglich leicht brennbaren Kunststoff zu verarbeiten. Alle Bildschirme haben ein reines Metallgehäuse. Ihre Position in unmittelbarer Nähe eines Hauptknotenpunktes der Dachkonstruktion führte dazu, dass sie, installiert in 35 Meter Höhe, mit einer aufwendigen Gaslöschanlage bestückt wurden. In jedes einzelne Gerät ist eine eigene Gaslöschanlage integriert, die sofort nach einer Branddetektion das Feuer innerhalb von Sekunden mittels Gas erstickt.

Quelle Brandschutz: gmp, Berlin

Bautafel

Architekten/Planer: gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner, Berlin mit J.S.K Architekci Sp. z o.o., Warschau und Schlaich Bergermann und Partner, Stuttgart
Projektbeteiligte: Alpine Bau Deutschland, Eching / Alpine Construction Polska, Warschau / Hydrobudowa Polska, Przeźmierowo (Generalunternehmer); Lichtvision Berlin (Lichtplanung); Protect, Warschau (Brandschutzplanung); HTW – Hetzel, Tor-Westen und Partner, Düsseldorf / Biuro Projektów Domar (Haustechnikplanung); Wangler & Abele, München (Wegeleitsystem); RAK Architectura Krajobrazu, Warschau (Landschaftsarchitektur)
Bauherr: Narodowe Centrum Sportu, Warschau
Standort: Aleja Księcia Józefa Poniatowskiego 1, 03-901 Warschau
Fertigstellung: 2011
Bildnachweis: gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner, Hamburg; Fotos: Marcus Bredt, Berlin / Krystian Trela

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