Museum Kazerne Dossin in Mechelen

Geschlämmtes Sichtmauerwerk aus langformatigen Verblendern

Aufgrund ihrer verkehrsgünstigen Lage zwischen Brüssel und Antwerpen richtete die deutsche Besatzungsmacht im Jahr 1942 in der Kleinstadt Mechelen ein Sammellager für Deportationen ein. Von der dafür genutzten ehemaligen General-Dossin-Kazerne am Rand der Innenstadt deportierten die Nationalsozialisten mehr als 25.000 Menschen nach Auschwitz. Dennoch wurde die Kaserne in den 1970er zunächst in Wohnungen umgenutzt und erst 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf Initiative von jüdischen Organisationen in einem kleinen Teil des Hauses das Jüdische Deportations- und Widerstandsmuseum eingerichtet. 2001 beschloss die flämische Regierung das bestehende Museum und die Ausstellung zu erweitern und lobte dafür einen eingeladenen Wettbewerb aus, den awg Architekten aus Antwerpen für sich entscheiden konnten. Außerdem erhielt das Museum einen neuen Namen: Kazerne Dossin. Gedenkstätte, Museum und Dokumentationszentrum Holocaust und Menschenrechte.

Südansicht: Vier Obergeschosse sitzen auf dem Sockel; innerhalb der geschlossenen Gebäudefront zeichnen sich reliefartig blinde Fensteröffnungen ab. Am linken Bildrand ist die alte Kaserne zu sehen
Hinter den geschlossenen Fronten befinden sich die Ausstellungsflächen, die großformatigen Fensteröffnungen belichten die Verwaltungsräume
Der janusköpfige Bau mit seinen teils geschlossenen, teils stark perforierten Fassaden entstand in Verlängerung der alten Gefängnismauerreste (Ostansicht)

Zur Planungsaufgabe gehörte die Schaffung eines Erweiterungsbau mit Flächen für Ausstellung, Service und Verwaltung, um den Bestandsbau vor allem als Dokumentationszentrum und Mahnmal nutzen zu können. Das Grundstück dafür liegt östlich von der Kaserne in unmittelbarer Nähe des Flusses Dijle, gesäumt wird es durch die Backsteingrundmauern des ehemaligen Stadtgefängnisses.

Der Entwurf von asg Architekten sah in Verlängerung dieser Mauerreste einen kompakten Solitär vor, der sich über einem polygonalen Sockelbau erhebt. Oberhalb dieser Basis setzt sich der Grundriss aus einem Rechteck und einem etwa gleichseitigen Dreieck zusammengesetzt – eine Zweiteilung, die sich auch im Aufriss wiederfindet, denn das Gebäude hat zwei ganz unterschiedliche Gesichter: Der dem ehemaligen Sammellager zugewandte Teil, der die eigentlichen Museumsräume enthält, erinnert mit seinen hermetischen Fassaden und dem oben schmal umlaufenden Balkon an einen militärischen Wachtturm. Zur Dijle hin dagegen ragt der Baukörper schiffsbugartig gen Wasser und Himmel auf, seine Fassaden sind offener gestaltet und hinter raumhohen Fensteröffnungen die Büros der Verwaltung untergebracht.

Als Besucher betritt man das Museum über einen Vorplatz zwischen Erweiterungs- und Bestandsbau. Die Eingänge beider Gebäude liegen sich gegenüber, sind jedoch axial bewusst nicht aufeinander bezogen. Vielmehr positionierten die Architekten den Zugang zum Neubau an der südwestlichen Gebäudeecke. Das Foyer im Erdgeschoss tritt in keinerlei Sichtbeziehung zur umgebenden Stadt. Von ihm aus führt der Weg zunächst ins Untergeschoss mit Garderobe, WCs und Café und von hier zum Start des Museumsrundgangs. Durch eine doppelte Glastür gelangt man in einen hohen, trapezförmig zugeschnittenen Raum, auf dessen großen Sitzstufen man auf dem Weg nach oben Verweilen und einen Einführungsfilm betrachten kann. Es folgt die thematisch gegliederte Ausstellung in den Obergeschossen. Dort erwartet die Museumsgäste die multimediale Installation „Geef ze een gezicht“ (dt.: Gebt ihnen ein Gesicht), zu der auch die sogenannte Portrettenwand gehört. Hier sind über alle Etagen Fotografien von mehr als 19.000 aus Mechelen deportierten Menschen zu sehen, biografische Daten zu den Personen können über Touchscreens aufgerufen werden. Ganz oben im vierten Obergeschoss erreicht man eine dreiseitig umschlossene Dachterrasse, die den Blick auf den Appellhof der Kaserne lenkt und zu einem Umgang führt, der Blicke über die Dachlandschaft der Kleinstadt erlaubt.

Mauerwerk
Die Außenwände des Neubaus sind zweischalig aufgebaut, zwischen der Tragschale aus Stahlbeton und dem Sichtmauerwerk befindet sich eine Kerndämmung. Die Außenschale ist konstruktiv über Mauerwerksanker mit der Tragkonstruktion verbunden. Um die horizontale Mauerwerksschichtung zu betonen, wählten die Architekten ein schlankes Riegelformat für die Ziegel. Bei einer Tiefe von 9 cm und einer Höhe von 5 cm variiert die Länge der Verblender zwischen 60, 40 und 20 cm. In jeder neunten Lage, also etwa alle 50 cm, sind die Klinker stehend vermauert, wodurch die Fassade zusätzlich horizontal gegliedert wird. Als Fugenmaterial kam Zementmauermörtel zum Einsatz. Abschließend wurden die Mauern geschlämmt, um das Erscheinungsbild der Fassade noch zu homogenisieren.

Innerhalb der geschlossenen Gebäudefronten nach Norden, Westen und Süden zeichnen sich reliefartig blinde Fensteröffnungen ab, in denen 25.267 Klinkersteine vermauert sind. Die Zahl entspricht der von hier deportierten Menschen.

Bautafel

Architekten: awg Architecten, Antwerpen
Projektbeteiligte: Bas Bvba, Leuven (Tragwerksplanung); Ingenium, Brügge (Haustechnik); Daidalos Peutz bouwfysisch ingenieursbureau, Leuven (Akustik & Nachhaltigkeit); Paul van Beek landschappen BNT, Amsterdam (Landschaftsarchitekt); Atelier Ruimtelijk Advies, Berchem (Bauleitung Landschaftsarchitektur)
Bauherr: Regierung der Flämischen Region - Departement of General Government Policy
Nutzer: Kazerne Dossin, Mechelen
Fertigstellung: 2012
Standort:
Goswin de Stassartstraat 153, 2800 Mechelen
Bildnachweis: Stijn Bollaert, Gent; awg Architecten, Antwerpen

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